Der Islam ist in aller Munde – als „Religion des Friedens“ für die einen, als „Steinzeitreligion“ für die anderen. Wie aber sind seine Aussichten? Wird die Zukunft islamisch sein oder befindet sich diese Religion schon auf dem absteigenden Ast? Dieser Frage geht der ägyptische Politikwissenschaftler Adbel-Samad in dem vorliegenden Buch nach, und sein Befund ist eindeutig: Es steht schlecht um den Patienten.
Eine erstarrte Kultur mit einem abstoßenden Frauenbild, einer hypertrophen Mohammed-Verehrung, intellektuell verkümmert und sexuell frustriert, aber immer sofort beleidigt, wenn auch nur im Ansatz „Islamkritik“ geübt wird: soweit Abdel-Samads Befund. Und neuerdings kommt auch noch der Terror hinzu. Junge Moslems, denen in unserem Land eine Rundumversorgung mit Bleibeperspektive geboten wird, laufen Deutschen grundlos mit Messern und Beilen hinterher, um sie zu töten.
Das und noch viel Schlimmeres haben schon viele vom Islam behauptet, warum hat dieses Buch dann ein solches Aufsehen erregt? Antwort: Weil der Autor Moslem war und zum Christentum konvertierte und seinen ehemaligen Glaubensbrüdern nun ihre sogenannten Defizite unter die Nase reibt. Das ist nach den Lehren des Islam ein todeswürdiges Verbrechen, und dementsprechend steht Abdel-Samad seit Jahren unter Polizeischutz. Ich selbst habe auf der Frankfurter Buchmesse 2015 erlebt, wie Abdel Samad von sieben Leibwächtern vor islamistischen Mördern geschützt werden musste. Fürwahr ein mutiger Mann, für den „Islamkritik“ ein Gebot des Humanismus ist und der sich nicht scheut, seine unwillkommenen Wahrheiten auch im deutschen Fernsehen darzustellen, wo er von den Moderatoren regelmäßig unterbrochen und behindert wird. Aber trifft seine Prognose auch zu? Ist der Islam bald nur noch Geschichte?
Ich meine: Nein!
Ein wenig erinnert mich Abdel-Samads Prognose an die abschätzigen Kommentare spätantiker Schriftsteller über die germanischen Barbaren im römischen Reich, die kulturell das Allerletzte seien und mit denen man sich nicht abzugeben brauche. Ein oder zwei Jahrhunderter später hatten die Germanen das spätantike Rom aus den Angeln gehoben. Und das, obwohl die Römer den Germanen kulturell und zivilisatorisch turmhoch überlegen waren. Und genau das ist auch dem Islam zuzutrauen.
Denn ganz egal, wie rückständig und barbarisch er auch daherkommen mag (Über seine Vorzüge wird in dem vorliegenden Buch wenig gesagt), er besitzt in viel höherem Maße als alle anderen Religionen die Kraft, für seine Sache Märtyrer zu generieren. Mögen noch so viele amerikanische Drohnen am Himmel kreisen, am Boden springen für einen toten Kämpfer gleich zwei neue Märtyrer aus der Kiste. Wenn die Bereitschaft, sein Leben für seine Sache zu opfern, ein Maßstab für Stärke ist, gibt es zur Zeit keine stärkere Macht auf der Welt als den Islam.
Ein weiteres Faktum, das Abdel Samad nur ganz am Rande erwähnt, kommt hinzu: der vorauseilende Defaitismus der westlichen Mainstream-„Eliten“, die dem Islam, wo immer er sich auch zeigt, den Weg ebnen, eine unfassbare Blindheit, die ein wenig an die Todessehnsucht untergehender Kulturen erinnert, von der Arnold Toynbee in seinem großen Panorama der Weltgeschichte spricht. Von seinem „Untergang“ jedenfalls ist der Islam noch weit entfernt, solange Millionen junger Männer unter Beibehaltung ihrer religiös geprägten Identität ungehindert in Europa einwandern. Zugegeben: Unter ihnen befinden sich Hunderttausende Harmloser, die nur ein besseres Leben wollen – aber auch Zigtausende gewaltaffiner junger Männer, und der Gedanke, dass eine alternde Gesellschaft in der Lage sein könnte, sie zu integrieren erinnert an das Märchen von den Hühnern, die die Füchse freiwillig in den Hühnerstall lassen, um ihnen beizubringen, Eier zu legen.
Eine Kritik aus konservativer Sicht kommt hinzu. Der Autor wäre gut beraten, in einer evtl. Neuauflage den naiven zivilgesellschaftlichen Liberalismus, den er als Benchmark dem Islam gegenüberstellt, ein wenig zu hinterfragen. Denn so viel man auch gegen den Islam sagen mag – mit der westlichen Gesellschaft, ihrer explodierenden Kriminalität und Drogenproblematik, ihren desaströsen familiären Zuständen und ihrer politischen Korruption steht es auch keinesfalls zum besten. Ihr bedauernswerter Zustand gehört bei einer Gesamterörterung über einen möglichen Untergang der islamischen Welt mit ins Bild. Unüberbietbar deutlich hat das schon vor Jahren Peter Scholl-Latour in dem Satz ausgedrückt: „Ich habe keine Angst vor der Stärke des Islams, sondern vor der Schwäche des Westens.“ Deswegen ist es durchaus möglich, dass nicht die islamische Welt untergehen und verschwinden wird, sondern die westliche Zivilisation, jedenfalls in der Gestalt, in der wir sie bis vor kurzem noch kannten.
Alles in allem ist das vorliegende Buch also kein großer Wurf. Mit guter Absicht, aber im Zorn geschrieben, naiv in seiner zivilgesellschaftlichen Einäugigkeit, unzureichend im Einbezug der westlichen Schwäche – und in seiner krampfhaften Abgrenzung zum erheblich analytischeren Sarrazin sogar ein wenig peinlich.