Aly: Unser Kampf. Ein irritierter Blick zurück

Aly Unser Kampf indexDie bürgerkriegsähnlichen Exzesse beim G20-Gipfel in Hamburg haben die Frage nach der linksextremen Gewalt aufs Tapet gebracht. Nicht, dass das Phänomen neu wäre, es wurde nur bisher nur so gut es ging, vom politischen Establishment verharmlost, von der linken Seite des politischen Spektrums sogar finanziell unterstützt. Grund genug sich mit der Gewaltgeschichte des Linksextremismus in Deutschland erneut auseinanderzusetzen, vor allem mit ihren Ursprüngen in der sogenannte 68er Revolution und der außerparlamentarischen  Opposition. Genau das ist das Thema des vorliegenden Buches von Götz Aly, das zwar schon 2008 erschienen ist, im  durch die radikalen Umwälzungen seit 2015 eine erhöhte Aktualität gewonnen hat.

Der Autor Götz Aly, geboren 1947, war selbst als junger Mann in der APO, weiß also recht genau, worüber er schreibt. Ideologisch würde man ihn bis heute dem gemäßigten linken Spektrum zuordnen, was seiner Kritik eine gewisse Brisanz verleiht, wenngleich es ihn nicht vor harscher Zurückweisung durch seiner ehemaligen Kumpels schützte. Die Quellen, mit denen Aly arbeitet, sind übrigens kein Lektürevergnügen – es sind die Flugschriften der Jahre 1967 bis 1972, ergänzt durch die Berichte des Bundesnachrichtendienstes und die allerdings hochinteressanten Perspektive jüdischer Gelehrter, die bei den Aktionen radikaler Studenten das gleiche Gehabe wie bei der SA erleben mussten. Nicht mit allem, was Aly schriebt, muss man einverstanden sein, denn bei aller Kritik an den 68ern bleibt er erkennbar ein Linker, der den grundlegenden Wandel, der ab 1968 einsetzte als überfällige Reform begrüßt und das Verdienst der Radikalen dabei nicht unter den Tisch fallen lassen möchte.

Aly beginnt mit einer kurzen Darstellung der ideologischen Versatzstücke, aus der sich die Weltanschauung der APO zusammensetzte. Es handelte sich um eine dezidierte „Randgruppenstrategie“, das heißt, den Versuch, scheinbar benachteiligte, unmündige oder unterdrückte Population zu vertreten, seien es image050Drittweltkommunisten, Freiheitskämpfer, Schwule,  Lesben, Malocher oder kriminelle (benachteiligte) Jugendliche. Diese Ausrichtung wurde ergänzt durch eine durchgängige Betonung der Lust an der Befreiung des Köpers von allen Zwängen durch Sinnlichkeit und Ekstase in ihren sexuellen oder drogenverstärkten Formen. Das große Vorbild und der große Feind zugleich wurden die USA, ersteres in der Nachahmung der Vietnamproteste und der Hippiebewegung, zweiteres als radikale Kritik am Hegemonismus der US-amerikanischen Weltmacht.

Aber all das  war zunächst nur die Sache einer Minderheit. Selbst in der Hochphase der Studentenrevolution, als im Jahre 1968 280.000 Studenten in Deutschland studierten, gehörten dem SDS als Speerspitze der Revolte gerade mal gut 2000 Studenten an, also weniger als ein Prozent. Sie aber entfachten als überzeugte Aktivisten einen derartigen Wirbel, dass ihr Sympathiepotenzial schon 1967 enorm anstieg und nach der Erschießung von Benno Ohnesorg geradezu explodierte. Während der Osterprotest Jahres 1968 waren 18.000 Protestierende in 26 Städten auf den Beinen, es kam zu explizit bejahten Gewaltanwendungen gegen die Polzisten, die immer stärker als „Bullen“ und „Schweine“ abgestempelt wurden. Es gehört zu den Besonderheiten der Rezeptionsgeschichte dieser Tage, dass die dabei durch Demonstranten getöteten zwei Personen im öffentlichen  Bewusstsein keine Spuren hinterließen, während der erschossene Benno Ohnesorg in die Geschichtsbücher einging. So brisant war der Mobilisierungs- und Politisierungschub, dass die Führergestalten der APO image046wie Rudi Dutschke und andere allen Ernstes  von der Machtergreifung in der Frontstadt Berlin träumten. Man stellte sich eine Art Hongkong mit Sonderstatus und Viermächte-Garantieren vor, das zugleich zu einem Aktions- und Rückzugszentrum für die Befreiungsbewegungen der dritten Welt werden könnte. Dazu passte übrigens die „Dienstreise“ studentischer Großkopfeten nach Kuba, wo sie abschottet vom normalen Volk in den besten staatseignen Hotels untergebracht und hofiert wurden.

Was aber an Alys Darstellungen aus dieser Zeit immer wieder frappiert, ist die rückhaltlose Bejahung der Gewalt, und zwar nicht nur der Exzesse der chinesischen Kulturrevolution, die trotz ihrer Millionen toten unter den radikalen Studenten absolut populär war, sondern auch in der direkten Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Wenn die Vertreter der Roten Flora in Hamburg oder der Rigaer Straße in Berlin die Anwendung von Gewalt heute öffentlich rechtfertigen,  stehen sie in bester Tradition zum „heiligen Rudi“, dessen Tagebuchaufzeichnungen einen delirierenden gewalttätigen St Juist offenbaren.  Auch die Mobbingkampagnen gegen politische Gegner, die in unserer bundesrepublikanischen  Gegenwart inzwischen trauriger Alltag geworden sind, entstammen dieser Zeit. Als im Jahre 1968 eine Reihe von Prozessen gegen linke Gewalttäter begannen, erstellte die APO detaillierte Dossiers über die beteiligten Richter und schreckte auch von Anschlägen auf ihre Wohnungen nicht zurück. Von dieser Kampfattitüde zum Terror der RAF ist es wahrlich kein langer Weg,  auch wenn Aly immer wieder Wert darauf legt, das er selbst und seine inzwischen gemäßigten Kumpane dergleichen natürlich verurteilten. Auch der latente Antisemitismus der heutigen Linken, der unlängst zu dem Skandal über eine unterdrückte Antisemitismus-Dokumentation der Linken durch den WDR führte, entstammt dieser „Gründerzeit“. Man denke nur an den misslungenen Bombenschlag linker Kreise auf das jüdische Gemeindezentrum in Berlin oder die radikale Parteinahme für den palästinensischen Terrorismus.  Der Delegierte Joschka Fischer war bei  einer entsprechenden Konferenz in Algier dabei und kann sich heute nur ganz schlecht erinnern.

Am interessantesten wird das Buch, wenn es die Perspektive von in der Nazizeit emigrierten  Gelehrter wie Ernst Frenkel oder  Gerhard Löwenthal einnimmt, die  zum zweiten Mal erleben mussten, wie gewalttätige Gruppen ihre Vorlesungen sprengten. Selbst Reformprofessoren wie  Habermas, Horkheimer, Krockow. Scheuch und andere geraten in den Fokus der neuen „Wiedertäufer“, deren Merkmal – so Löwental  – der radikale Unwille ist, sich mit Fakten überhaupt argumentativ auseinanderzusetzen. Auch dieser Schwundform der politischen Auseinandersetzung ist inzwischen Usus geworden.

So ergibt sich am Ende dieser turbulenten Umbruchszeit in den frühen Siebziger Jahren ein zwiespältiger Befund. Der SDS als Institution verschwand und spaltete sich in zwei Teile: einerseits den organisierten Linksextremismus, der  den RAF Terror unterstützte und schrittweise innergesellschaftliche Autonomiezonen erkämpfte – und andererseits, die nunmehr moderaten Ex-Revolutionäre, die ihren langen Weg durch die Institutionen begannen, der ihnen schon nach einer Genration weltanschauliche Hegemonie bescheren sollte. Sie wurden Lehrer, ergatterten über Gruppenhabilitationen (wenn sie überhaupt promoviert  waren) Lehrstühle, popularisierten als Redakteure ihre weichgespülte Sicht der Vergangenheit (vor allem in der taz) und taten ihr Bestes, die politischen Gesamtkoordinaten  so weit nach links zu verschieben, dass ihr die Merkel CDU folgen musste, um regierungsfähig zu bleiben. Manche wurden sogar Parteipolitiker, Vizekanzler und Gas-Lobbyisten. Und wem es gar nicht gelungen war, in den Siebziger und Achtziger Jahre im gut bezahlten Reich der linken Sinnproduzenten unterzukommen, ergatterte nach 1989 die wohlfeilen Posten in den neuen Bundesländern.

Das Buch endet mit einem etwas bemühten psychologischen Erklärungsversuch für das Phänomen der 68er. Die akademische Lehrergeneration, auf die die linken Studenten trafen, war selbst durch ihre teilweise Kollaboration mit dem Nationalsozialismus diskreditiert und setzte sich nur halbherzig zur Wehr. Die Studenten erblickten in ihren genauso wenig wie in ihren Vätern Vorbilder sondern orientierten sich als abstrakten und mörderischen Utopien aus anderen Teilen der Welt.  Alexander Mitscherlich hat das in seiner Untersuchung zur „vaterlosen Gesellschaft“ allerdings erheblich prägnanter dargestellt.

Trotzdem habe ich das Buch mit großem Interesse und Gewinn gelesen. Blickt man genauer hin, erkennt man in Alys Darlegungen die beiden Wurzeln der gegenwärtigen Machtverhältnisse. Die Politiker und die Mainstreammedien als Nachfolger der moderat gewordenen Alt-68er  – und ihre radikale, gewalttätige Anitfa-„Putztruppe“, die jede politische Opposition von den Straßen fegt. Die Hamburger Ereignisse haben dieses Zusammenspiel gerade deswegen sichtbar werden lassen, weil es diesmal nicht funktionierte.  Allerdings wäre politische Dominanz des linken Lagers nicht möglich, ohne die Wandlungsfähigkeit dessen, was Aly in Anlehnung an das Vokabular der 68er als  „Spießer bezeichnet. So wie der Spießer in der NS-Zeit sich dem Regime anpasste, so wie der Spießer in der 68er Ära mit der Bildzeitung heulte, jubeln die Gutmenschen Spießer heute „Refuge welcome“.  Wer will kann darin eine Dialektik der Geschichte erkennen.

Seine Grenze findet das Buch, indem es der Frage nach dem Ertrag „unseres Kampfes“ ausweicht. Die gängige Lesart, die die 68er als Sieger der Geschichte in die Lehrpläne schreiben ist, dass trotz aller Exzesse der radikalen Linken sich die Gesellschaft als Ganzes „modernisiert“ habe. Über den Wert dieser  Modernisierung, die vor allem Minderheiten zugutekam, könnte man lange diskutieren, denn auch die Zerschlagung der modernen Familie, der Rückgang der Geburtenraten, die Explosion von Kriminalität und Drogenmissbrauch, der Niedergang des Schulwesens und die Bildung integrationsunwilliger Parallelgesellschaften gehört mit in das Bild. Der Marsch der 68er zu den Pfründen der Macht hat die ganze Gesellschaft in eine Richtung verändert, deren Selbstzerstörungstendenzen erst jetzt sichtbar werden. Insofern ist das letzte Kapitel von „Unser Kampf“ noch gar nicht geschrieben.

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