Atwood: Der Report der Magd

Der Präsident wird erschossen, der ganze Kongress fällt einem Massaker zum Opfer. Evangelikale Abtreibungsgegner und religiöse Fundamentalisten ergreifen die Macht in Nordamerika und errichten das alttestamentarisches Steinzeitregime „Gilead“, das auf der absoluten Knechtung der Freuen beruht. Frauen dienen nur noch als Aufseherinnen über anderen Frauen („Tanten“) als Haushaltshilfen („Ökonofrauen) oder, wenn sie  jung und gebärfähig sind, als „Mägde“, die zur Fortpflanzung mit leitenden Persönlichkeiten des Regimes herangezogen werden („Kommandanten“). Der Befruchtungsvorgang vollzieht sich als ein groteskes Ritual, bei dem nach gemeinsamer Bibellektüre der Kommandant eine der Mägde penetriert, währen diese Frau ihrerseits auf dem Schoß der regulären (nicht gebärfähigen ) Ehefrau liegt, die damit zugleich symbolisch mit befruchtet wird.

Das ist die Rahmenhandlung des vorliegenden Buches, das aus der Sichtweise einer solchen „Magd“ geschrieben ist. Ihr Name „Desfred“ ist ein sogenanntes In „Patronymikum“, d. h. eine Kennzeichnung, die mit dem Namen des Eigentümers verbunden wird und die verschwindet, sobald  sobald die Magd den Haushalt wechselt. In  einer Art Tagebuchperspektive und angereichert mit ständigen Rückblicken auf die Vergangenheit erlebt der Leser die Welt der Magd mit ihren Augen –  den grotesken Befruchtungsvorgang, die kollektive „Seilzeremonie“, die schrecklichen Strafen, die an ungehorsamen Mägden durchgeführt werden, die „Errettungen“, die in Wahrheit Hinrichtungen sind, oder das bestialische Zerfleischen verurteilter  Männer durch aufgehetzte Frauen. Aber auch in diesem durchorganisierten und von sogenannten “Augen“ kontrollierten Terrorregiment existieren Nischen, in denen sich Widerstand (Organisation „Mayday“), Freiheit und Liebe ein Plätzchen suchen – wie etwa Desfreds  „Kommandant“, der eine Schwäche für die Magd zeigt oder der Chauffeur Nick, der zum Untergrund gehört und Desfred liebt.  Am Ende kommt der „schwarze Wagen“ und holt Desfred ab –  ob in den Tod oder über den Untergrund bleibt offen. Ein nachgeschobenes aufgepfropftes Kapitel über eine Wissenschaftstagung lange nach dem Untergang von Gilead informiert über das Schicksal Gileads, über die Protagonisten und das mögliche Schicksal Defreds.

Abgesehen von dem letzten Kapitel, das mir als Strukturelement des Romans vorkommt wie eine formale Bankrotterklärung der Autorin, ist der „Report der Magd“ als literarische Dystopie  eindrucksvoll gelungen. In einer meisterhaften Kombination von hochkonkreten Erlebnisbeschreibungen, Erinnerungen und Reflexionen, wird die „Magd“ dem Leser schnell vertraut. Die Sprache der Autorin ist ungemein geschliffen, anschaulich und passagenweise poetisch.  Die Spannungsmomente der Handlung sind ebenso effektvoll gestaltet wie die Charakterzeichnungen der Protagonisten. Über die Wahrscheinlichkeit des von der Autorin skizzierten frauenfeindlichen Zwangssystems wird man allerdings geteilter Meinung sein können –  als literarische Imagination kommt mit der Roman vor wie eine die negative Angstprojektion einer feministischen Epoche auf dem Höhepunkt ihrer Einflusses.

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