Es ist immer ein Wagnis, ganze Nationen anhand einzelner Personen verstehen zu wollen, aber manchmal hat es auch seine Berechtigung – wie eben im Falle Evita Perons, deren geschichtliche Wirksamkeit die argentinische Gesellschaft bis heute polarisiert – für die einen war Evita ein Engel der Armen, eine menschgewordene Madonna, für die andern waren die Perons Faschisten, die auch vor Mord und Folter nicht zurückschreckten, und Evita nichts weiter als das teuflische Aushängeschild des Regimes.
Alicia Dujovne Ortíz, deren Eltern unter der peronistischen Diktatur verfolgt wurden, die aber selbst als kleines Mädchen beim Tode Evita Perons im Jahre 1953 bittere Tränen vergoss, hat in dem vorliegenden Buch versucht, der widersprüchlichen Gestalt Eva Perons Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Wer genug Geduld und Interesse mitbringt, sich auch durch die kaum zu überblickende Zahl der Akteure, Spekulationen, Zitate und Anekdoten hindurch zu arbeiten kann auf immerhin 433 Seiten den Aufstieg eines unbegabten, nicht sonderlich reizvollen unehelichen Kindes bis zur Präsidentengattin miterleben und dabei tief in das Unterfutter der argentinischen Gesellschaft und Geschichte hineinzublicken.
Am Ende der Lektüre ( Einzelheiten hier: [ludwig-witzani.de/Reiseportal/Einladung nach Argentinien und Chile…]) gewinnt man fast den Eindruck, dass Argentinien, dieses großartige und schöne Land am Ende der Welt im 20. Jhdt. vom Wahnsinn befallen wurde. In den durch und durch mediokren Figuren Juan und Eva Perons verfiel ein Volk in ein Delirium an Selbstbetrug, Bereicherung, Fanatismus und Raserei, wobei kaum etwas mehr erstaunte, als die Differenz zwischen der Erregung der Millionen und der Mickrigkeit der Hauptfiguren, an denen sich diese Erregung abarbeitete. Wie Borges vermerkte, war nichts echt an Juan und Eva Peron, sie waren Schattenfiguren, die nach einer ihnen selbst nicht einsichtigen Regie einen kollektiven Totentanz tanzten. Abschreckend war die Pöbelhaftigkeit und persönliche Niedertracht der handelnden Figuren, wofür das Buch zahllose Beispiel liefert. Versöhnlich stimmte zeitweise, dass es in guten Zeiten ein lachender Faschismus“ war, was aber über die zunehmende Brutalität des Regimes in seiner Endphase nicht hinwegtäuschen darf. Immerhin wurde das Frauenwahlrecht eingeführt, der Mindestlohn, die Arbeitsgerichte, die Sozialversicherung und vieles andere mehr, was von heute aus gesehen modern“ anmutet – aber auch das alles nur instrumentell als Gnadengabe an ein zu manipulierendes Volk Als besonders verhängnisvoll erwies sich, dass Evitas Credo: Ihr müsst fordern, ihr habt ein Recht auf Reichtum!“ bei den unteren Schichten eine Kompromisslosigkeit und Terrorbereitschaft erzeugte, die – zusammen mit einer ähnlichen Reaktion auf Seiten der Oligarchie – einen nationalen Ausgleich bis heute verhindert hat. Wo so viel Licht und noch viel mehr Schatten ist, fällt das Urteil der Autorin zwiespältig aus: „Größe“, so schreibt sie auf der letzten Seite, „ist eine Eigenschaft, die Schäbigkeit nicht ausschließt“ (S. 433) Na denn.