Claus Schenk Graf von Stauffenberg ist in der Wahrnehmung der deutschen Öffentlichkeit eine umstrittene Erscheinung, denn lange Zeit wurde er entweder dem preußischen Militarismus zugeschlagen oder mit den „Landesverrätern von der Roten Kapelle“ in einen Topf geworfen wurde. Erst der große Stauffenberg Film „Operation Walküre“ hat für Stauffenbergs Gestalt und seine Tat wieder Interesse geweckt. Ist Stauffenberg womöglich der letzte Held der deutschen Geschichte?
Hans Bentzien, ehemaliger Kultusminister der DDR und später wegen „Abweichlertum“ noch in der alten DDR zeitweise kaltgestellt, hat als ein jeder Heldenverehrung unverdächtiger Chronist eine erstaunlich informative und unparteiliche Biographie verfasst, in der er nicht nur das Leben Stauffenbergs in aller Breite nachzeichnet sondern auch die allgemeingeschichtlichen Entwicklungen so darstellt, dass das Typische und Besondere an seiner Person klar hervortritt. Nach einer kurzen Skizze der Familiengeschichte der Stauffenbergs, der Schulzeit und der familiären Beziehungen erlebt der Leser den jungen Stauffenberg bald als Jünger von Stefan George, dem mystischen Seher einer neuen Zeit, der seinen Anhängern ein elitäres Lebensgefühl mit auf den Weg gab, das Stauffenberg sein Leben lang nicht mehr ablegen würde. Wer dieses Gefühl des Auserwähltseins als Manko sieht, sollte bedenken, dass es immerhin diese elitäre Distinktion war, die ihn und seinesgleichen vor der Affizierung durch den Nazi- und Kommunisten-Pöbel gleichermaßen bewahrte. Auf der anderen Seite verhinderte sie aber auch den Appell an jedwede revolutionären Instinkte, denn das „Volk“, so Stauffenberg schon 1939, „dürfe man nur dann entfesseln, wenn genug sittliche Gegenkräfte im Staats- und Menschengefüge vorhanden wäre, was in der Gegenwart nicht der Fall sei.“(109).
Am Beginn des zweiten Weltkrieges ist Stauffenberg schon hochgelebter Karriereoffizier, wird bei den Kämpfen in Frankreich und Polen ausgezeichnet, und muss doch von Jahr zu Jahr mehr den Terrorcharakter des Regimes erkennen, das seit dem Polenfeldzug unbeirrt daran geht, mit seinen Einsatzkommandos im Rücken der Front die wehrlose Zivilbevölkerung zu massakrieren. Stauffenbergs unerschrocken vorgebrachte Gegnerschaft gegen die NS-Morde innerhalb der Wehmacht führt schließlich zu seiner Versetzung von der russischen Front nach Afrika, wo er bei einem englischen Fliegerangriff schwer verletzt wird. Im Jahre 1943, wir befinden uns schon im letzten Drittel des Buches, nähert sich Stauffenberg den Widerstandskreisen um Goerdeler, Beck und von Tresckow an, um schnell zur zentralen Führungsperson des Widerstandes aufzusteigen. Während sich Goerdeler in Denkschriften ergeht, drängt Stauffenberg zur Tat, konkret zum Tyrannenmord, den er selbst als Verbindungsoffizier der Wehrmacht in der Wolfschanze in Ostpreußen in Szene setzt. Der riskante und zugleich raffinierte Plan, die Durchführung, das Scheitern, die verhängnisvolle Rolle der Generäle Fromm und Olbricht ist schon zu oft beschrieben worden, als dass Bentzien hier Neues hinzufügen könnte – spannend zu lesen ist seine Darstellung allemal. In der Nacht zum 21. Juli 1944 wird Stauffenberg mit seinen Helfern in Berlin erschossen und in einem Massengrab verscharrt. Der Aufstand, in Paris und Prag bereits angelaufen, bricht kurz darauf zusammen, die endgültige Agonie des Dritten Reiches hebt an, aber nun ist es eine Agonie, der noch einmal Millionen Menschen zum Opfer fallen sollten, die durch ein erfolgreichen Staatsstreich hätten gerettet werden können.
Wohl der Zeit, die keine Helden nötig hat, schrieb Berthold Brecht und machte sich vom Acker. Andere blieben, versagten oder hielten stand und einige wurden auch zu Helden. Von einem Helden handelt das vorliegende und ungemein lesenswerte Buch, möglicherweise vom letzten Helden der deutschen Geschichte.