Wen interessiert die polnische Geschichte? Oder die kroatische? Oder die rumänische? Keine Sau, möchte man antworten, weil diese Völker nichts beigetragen haben zur Weltgeschichte? Falsch, zumindestens was Polen betrifft. Denken wir nur an die „polnische Frage“, die die Großmächte das ganze 19. Jhdt. in Atem hielt, an den Kriegsausbruch des 2. Weltkrieges, an den Polnischen Papst, an die erste Gewerkschaft, die im Ostblock das Machtmonopol der Betonkommunisten brach: die polnische Solidarnosc – und nicht zu vergessen: Jan III Sobieski, den polnischen König, der das Abendland 1683 vor Wien vor den Türken rettete. Das ist doch schon eine ganze Menge.
Wen nicht nur diese Highlights der polnischen Nationalgeschichte sondern auch das Alltägliche, Schrille oder Tragische interessiert, der ist mit dem vorliegenden Buch von Manfred Alexander gut aufgeboben. Auf über 400 Seiten erzählt der Autor die Geschichte des Polens von der ersten Dynastie der Piasten im 9. Jhdt. bis zum Untergang des Kommunismus im Jahre 1989. Was sind – in der Sichtweise des vorliegenden Buches – die Hauptetappen der polnischen Geschichte?
(1) Die Gründung Polens durch die Dynastie der Piasten (982-1370)- stark beeinflusst durch die Böhmen und dann durch die deutschen Kaiser wird der Stamm der Polanen christianisiert, entsteht das Erzbistum Gnesen und ein vom deutschen Kaiser unabhängiges Königtum.
(2) Die Epoche der Jagiellonen und die Union mit Litauen, die Polens goldene Zeit einleitete: den Sieg über den deutschen Ritterorden (Tannenberg 1410) und eine Großmachtstellung, die die Jagellionen befähigte, auch auf die ungarischen und böhmischen Throne überzugreifen (1386-1572)
(3) Die Zeit des Niederganges (1572-1795), in dem eine eigensüchtige Adelsschaft jeden Reformversuch des Königtums verhinderte, bis das Land schließlich zersplittert und geschwächt in den drei polnischen Teilungen von der Landkarte verschwand
(4) Die staatenlose Zeit ( 1796-1918), in der die Polen überall in Europa zum Ferment der Revolution werden, ohne doch wirklich ihren Staat restituieren zu können. Mehr noch: die Zeit der polnischen Teilungen führt zur Entfremdung der einstmals vereinigten Polen, Ukrainern und Weißrussen, die unter preußischen, österreichischen und russischen Flaggen ganz unterschiedliche Schicksale durchleiden.
(5) Die Episode des polnischen Nationalstaates ( 1918-1939), der nach dem ersten Weltkrieg und dem Untergang der Teilungsmächte Deutschland, Russland und Österreich entstand und der in Wahrheit ein räuberischer Vielvölkerstaat war, der Litauer, Ukrainer, Juden und Deutsche gewaltsam unters polnische Joch zwang und sich damit als expansionistischer Staat die Feindschaft aller Nachbarstaaten zuzog,
(6) Polen am Rande des Unterganges im 2. Weltkrieg (1939-45), als nach der vierten polnischen Teilung ein Viertel des Volkes durch die nationalsozialistische Mordmaschinerie ermordet wurde und
(7) die Zeit der Kommunistischen Herrschaft bis zur Wende von 1989, die das Land vollends proletarisierte und verödete.
Man sieht, es ist eine tragische Geschichte ohne Happy End, die das Land im Jahre 1989 auf einen vollständigen Neuanfang verweist. Trotzdem bietet das Buch ein imponierendes historisches Panorama von über 1000 Jahren Geschichte eines Kulturvolkes zwischen Deutschen und Russen, das sich trotz aller Unwägbarkeiten schließlich in die Europäische Union rettete. Das Buch ist anspruchsvoll und zugleich verständlich geschrieben, eine ideale Einführung für alle, die sich vielleicht im Rahmen einer Polen Reise für dieses L