Bosl: Bayrische Geschichte

Bosl bayr GeschichteKarl Bosl ist einem breiteren Publikum durch seine „Lebensformen des Mittelalters“ bekannt geworden. Zieht er dort eine Summe seiner Kenntnisse aus allen Bereichen der mittelalterlichen Geschichte, so konzentriert er sich in dem vorliegenden Buch auf EINE EINZIGE Region, eben Bayern, jenes Land, das seiner Ansicht nach „von allen deutschen Stämmen noch am ehesten sein Sonderbewusstsein in die Gegenwart gerettet“ hat.
Dabei sind die Bayern, das sollte man ihnen gelegentlich mal unter die Nase reiben, überhaupt keine richtigen Germanen. Folgt man Karl Bosl, der die Forschung zu dieser Frage referiert, sind die Bayern nichts weiter als eine Sammelbezeichnung für eine in der Spätantike entstehende keltisch-römischeMischbevölkerung im weiteren Umkreis der Donaugrenze, die mit dem Beginn der Völkerwanderung durch Franken und Alemannen ethnisch-sprachlich überformt wurden (Ihr Name leitet sich übrigens von den keltischen Boiern her, die im benachbarten Böhmen eine der ethnischen Grundlagen des später entstehenden Tschechentums wurden).
Mit der Eingliederung Bayerns in das Frankenreich und der Ernennung der Agilofinger als Herzögen wurde Bayern die Ostmark des Reiches, damals allerdings in Grenzen die das heutige Bayern weit überschreiten ( mit Österreich, der Steiermark, Tirol und Kärnten, die nach und nach verloren gingen ). Nach Bosl wurde erst während der Regentschaft der Agilofinger (531 bis 788) Bayern recht eigentlich als Bayern geboren – und durch Angelsachsen und Iren christianisiert ( das sollte man nicht vergessen, wenn man den Rabatz beklagt, den die Hooligans von der Insel im Olympiastadion machen, wenn Bayern München gegen einen englischen Club spielt). Nach dem Sturz des letzten Agilofinger Tassilo und seinem haupthaarlosen Entschwinden ins Kloster folgen die Karolinger (788-895), die Luitpoldinger (895-947), die Ottonen (947-1027), die Salier (1027-1070) und schließlich die Welfen (1070-1180). Sie alle betrachten Bayern allerdings nur als Teil übergreifender Ambitionen. So gründet der Welfenherzog Heinrich der Löwe als Herzog von Bayern 1158 zwar München, kurz darauf aber als Herzog von Sachsen auch Lübeck.
Erst mit dem Sturz der Welfen und der Ernennung des Wittelsbachers Ottos I zum Herzog wird Bayern im Jahre 1180 selbst zum Subjekt der Geschichte. Auf der Grundlage erfolgreicher Hausmachtpolitik wird 1314 Ludwig IV von Bayern zum deutschen König gewählt, und auch wenn sein kühner Großmachtentwurf am Ende scheitert, ist Bayern hinfort ein immer klarerer konturierter Machtfaktor zwischen Habsburgern, Hohenzollern, Bourbonen, Wettiner und wie die europäischen Dynastien auch immer heißen mochten. Für die dynastische Geschichte von entscheidender Bedeutung wurde die 1329 kodifizierte Trennung der bayrischen und der pfälzischen Linie der Wittelsbacher und später in der Epoche der Reformation die Parteinahme Wilhelms IV und Albrecht V gegen den Protestantismus, die zum Ausbau Bayerns als jesuitisch inspirierter Ort der Gegenreformation und zum Aufstieg des Landes zu einem der kulturhistorischen Zentren des europäischen Barock beitrug.
Bosl schildert aber nicht nur diese im wesentlichen bekannten Hauptlinien der Geschichte, sondern er behandelt auch die Entwicklung zahlreicher Reichstädte, Stifte und Dynastien, was seine Darstellung zu einer echten Geschichte Bayerns macht ( die ja nicht mit der der Wittelsbacher identisch ist). Ganz schwindelig kann man werden, wenn der Autor all die Namen der Reichsstifte, Klöster, Fürstbischöfe, Markgrafen, Pfarreien in Altbayern, in Franken und Schwaben herunterbetet und den Leser mit Einzelheiten aus deren Miniaturgeschichte traktiert. Auch stilistisch macht der Autor wenig Konzessionen, gerade so, als denke er: wer dieses Buch schon einer Bayrischen Weißwurst vorzieht, der soll auch was davon haben. Aber Scherz beiseite, auch wenn die Lektüre des Buches nicht immer als ein Vergnügen bezeichnet werden kann, ist es klar durchgliedert und hochinformativ. Außerdem erleichtert ein geradezu gewaltiges Namens-, Sach- und Ortsregister am Ende des Bandes die Orientierung in 2000 Jahren bayrischer Geschichte. Wer das auch noch geschafft hat, darf sich dann noch eine Brotzeit gönnen.

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