Brodersen: Reiseführer zu den Sieben Weltwundern

Sieben WeltwunderDie ägyptischen Pyramiden, die Mauern von Babylon, der Artemistempel in Ephesos, das Mausoleum des Mausolos in Halikarnassos, der Leuchtturm von Pharos bei Alexandria, die Zeusstatue in Olympia und der Koloß von Rhodos – das sind die Weltwunder, die der griechische Ingenieur Philon von Byzanz um 200 v. Chr dem gebildeten Publikum vorstellen will. Sein in zwei Abschriften nur fragmentarisch überlieferter Kanon ist keineswegs die erste, sondern lediglich die älteste uns bekannte Quelle, in der die sieben Werke“ vorgestellt werden. Denn die griechisch-römische Antike kennt auch noch andere Weltwunder: mal werden der Hörneraltar des Apoll auf Delos oder die Athene Statue auf der Akropolis von Athen erwähnt, ein andermal tauchen in den Listen der Palast des Perserkönigs Kyros in Ekbatana, das siebentorige Theben oder die Brücken von Babylon auf. Die Römer fügten je nach Gusto das flavische Colosseum, das Kapitol oder den Hadrianstempel von Kyzikos hinzu. Welche Weltwunder auch immer in den Listen auftauchen – entweder sind es in Anlehnung an die orientalische Zahlenmystik sieben, oder es sind acht, wobei die Idee des „achten Ägypten 1 (05)Weltwunders“, von den Römern entwickelt, nichts weiter bedeutet, daß sich die sieben Weltwunder in einem alles übertreffenden achten Weltwunder vollenden.
In einer Epoche, in der die Menschen danach gieren die Rankings der besten Köche, besten Bücher oder besten Matratzen zu erstellen, mag es tröstlich sein, dass sich sogar die Antike wenigstens um einen Kanon bemühte, einen Kanon, der die Essenz ihrer Welt repräsentiere sollte. Was aber haben diese Weltwunder gemeinsam? Zunächst entstammen sie samt und sonders dem griechisch-römisch-orientalischen Kulturkreis, der für die Gebildeten der damaligen Oikumene wie selbstverständlich der einzige Bezugspunkt von Zivilisation und Gesittung darstellte. Sodann sind es bewundernswerte Schöpfungen des menschlichen Ingeniums, bei deren Verwirklichung ihre Erbauer und Gestalter bis an die Grenze dessen gingen, was im Verständnis der Zeit menschenmöglich war. Schließlich handelt es sich durchweg um technisch-künstlerische Enormitäten. Ein imposantes Naturpanorama, einen heiligen Berg wie den Olymp oder eine gewaltige Schlucht wird man in den antiken Weltwunderlisten vergeblich suchen.
Mit dem Untergang der griechisch-römischen Antike verschwand nicht nur ein Weltreich sondern eine ganze Kultur. Der kollektive Präsenz der Weltwunderidee konnte sich unter diesen Umständen nicht lange halten. Nach einigen Experimenten in frühmittelalterlicher Zeit, in der die heidnischen Weltwunder zugunsten der Hagia Sophia oder des Salomonischen Tempels, schließlich sogar zugunsten der Arche Noah ausgemistet wurden (nur die Pyramiden fanden vor den Kirchenvätern als die vermeintlichen Kornspeicher des Josephs Berücksichtigung ) wachsen die Listen über die bisher sakrosankte Siebener/Achter-Zahl hinaus. Beliebige Zusammenstellungen mit zwölf, sechzehn, schließlich sogar neunundzwanzig „Weltwundern“ werden konzipiert und bleiben unbeachtet. Kurz: die Tradition der „Sieben Weltwunder“ verebbt – bis sie erst im 19. und 20. Jhdts. im Zuge der Entstehung des Historismus und der Altermtumseuphorie a la Schliemann und Evans wieder in den abendländischen Bildungskanaon restituiert wurde.
Diesen Kanon des Erhabenen aus den Gründertagen unserer Kultur als kleinen bebilderten Band dem interessierten Publikum samt seiner Geschichte in einer ausgezeichneten Edition nahezubringen, ist das besondere Verdienst dieses kleinen Buches, dessen Anschaffung ich uneingeschränkt empfehle. Eine ideale Einführung für alle, die an Burkhard Webers weltweiter Abstimmung über die „Neuen Sieben Weltwunder“ teilgenommen haben.Sieben Weltwunder

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