Jarred Diamond unterhielt sich eines Tages mit einem Melanesier auf Papua Neuguinea über dies und das wurde plötzlich gefragt, warum die westliche Welt so viel höher entwickelt sei als die Heimat der Melanesier. Das ist „Yalis Frage“, die der Autor am Beginn des Buches formuliert und deren Beantwortung ihn zu einem Galoppritt durch die menschliche Evolution veranlasst. Dieser Galoppritt beginnt immerhin vor etwa sieben Millionen Jahren, als sich in Afrika der Urahn des Menschen aus dem Primatenbaum separierte, ehe er vor zwei Millionen Jahren mit Hilfe des Feuers auch in Gebiete außerhalb Afrikas vordrang. Doch erst mit dem Auftreten des homo sapiens bzw. des sprachbegabten Cro Magnon Menschen ging es vor etwa 50.000 Jahren so richtig los: Der homo sapiens kennt Behausungen und Kleidung und weitet er seine Lebensräume bis nach Sibirien, Amerika und Australien aus. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass er, wohin er auch kommt, die Großtierarten ausrottet. Dodo, Vogel Rock, das amerikanische Mammut ‚ ab in den Orkus der Schöpfung. So weit so schlimm, doch was ist mit Afrika passiert? fragt der Autor. Hatte denn Afrika als die Wiege des Menschen nicht einen ungeheureren Vorsprung und wieso konnten die Menschen in Afrika diesen Vorsprung nicht halten?
Die Antwort ist, dass nur die Ehtnien, denen es gelang, die Landwirtschaft zu entwickeln, soziokulturell abgehen wie die Raketen – die anderen müssen in den Gesäßfalten der Naturgeschichte verharren. Wie sich nun dieser Übergang vom Nomadentum zur Landwirtschaft in den verschiedenen Weltteilen ökologisch gestaltet, gehört zu den interessantesten Passagen des Buches. Der erste Schritt war die Verwertung von Wildpflanzen, wobei sich zunächst 90 % aller Wildpflanzen als ungenießbar erwiesen. Doch alles das, was dem Menschen nicht schmeckt, verschwindet, die Biomasse wird selektiert und domestiziert, und schnell bedecken die 0,1 % der sehr gut verwendbaren Pflanzen den allergrößten Teil der Anbauflächen. So geht das mit zuerst mit Weizen, Geste und Erbsen, später mit Obst, Oliven, Feigen Datteln, danach mit Äpfel, Birnen und Pflaumen und so weiter. Parallel dazu treten auch Rind, Schaf, Schwein Pferd, Huhn und Ziege (wo ist der Hund?) als domestizierte Wesen in das Haus des Menschen ein. Ihre Haltung als Fleisch- und Milchlieferant und als Zugtiere erhöhte die Möglichkeiten der Feldbestellung und damit die sesshaften Perioden. Sesshaftigkeit steigert wieder die Fruchtbarkeit, denn nun müssen die Frauen den Balg auf der Wanderung nicht immer mit sich rumschleppen sondern können ihn auch mal hinter die Feuerstelle zum Trocknen legen. Von den vier Gebieten, in denen die Landwirtschaft unabhängig voneinander erfunden wurde (der fruchtbare Halbmond, China, die Ostküste der USA und Mittelamerika) könnten nun die „Bipopakete“ in alle Welt exportiert werden. Doch leider gelang das nur in Eurasien, weil sich die Nehmerkulturen der Ägypter, Inder, Iraner und Griechen auf einem ähnlichen Breitengrad der Ost-West Achse befanden. Eine analoge Verbreitung auf dem amerikanischen und afrikanischen Kontinent war (abgesehen davon, dass die Erfindungen erst viel später gelangen) wegen der Nordsüdausdehnung und dem Wechsel der Klimazonen nicht in vergleichbare Weise möglich.
Doch kaum hat der Mensch in großer Zahl Tiere domestiziert, wird er von Seuchen befallen, denn was sind Seuchen anderes als mutierte Übertragungen von Schädlingen vom Tier auf den Menschen ( siehe Aids). Was sich als eine Plage der sesshaften Viehbesitzer anhört, ist jedoch in Wahrheit eine Stärkung: denn nun werden innerhalb der Agrargesellschaften die Schwachen durch die Seuchen ausselektiert, es überleben die Starken, die gegen die Schädlinge eine Art Resistenz entwickeln. Der Erfindung der Landwirtschaft und der Resistenzenbildung gegen Seuchen folgte die Entstehung differenzierter und arbeitsteiliger Gesellschaften, politischer Organisationen (Staat) und die Entwicklung einer Produktivität, die die Unterhaltung stehender Heere gestattete. Bei Zusammenprall der Kulturen im 16. Jahrhundert und später gaben dann die Seuchen der eurasischen Völker den bis dahin weltabgegelenen verspäteten Kulturen den Rest. Was für ein Glück, denkt man als Europäer unwillkürlich, dass wir in den alten Zeiten so tolle Biopakete von den Orientalen erhalten haben und dadurch so reich geworden sind, dass wir uns solche Bücher leisten können. Aber im Ernst: das vorliegenden Buch, dessen Facettenreichtum hier noch nicht einmal angedeutet werden konnte, ist ein intellektuelles Abenteuer, eine ökologische Weltgeschichte der Extraklasse, für die fünf Sternchen fast noch zu wenig sind. Unbedingt vor dem Bestseller „Kollaps“ vom gleichen Autor zu lesen.