Kaiser Franz Joseph (1848 -1916) rangiert neben Queen Viktoria von England (1837-1901) und Elisabeth II (1953-Ende offen) in der Spitzengruppe jener Herrscher, die 50 Jahre und mehr regierten. Doch während unter Queen Viktoria das Britische Empire den absoluten Zenit seiner Macht erstieg, war die gesamte Regierungszeit des österreichischen Kaisers Franz Joseph I ein einziger Niedergang – bis er aufgrund einer Gnade des Schicksals gerade rechtzeitig zwei Jahre vor dem endgültigen Zusammenbruch seines Reiches in die Kapuzinergruft einfuhr.
Was war das für ein Reich, das der Kaiser 68 Jahre lang regierte? Es war ein Reich, dass immer mit halber Kraft halbgare Pläne auszuführen suchte (S. 74ff.) dessen Soldaten schlecht ausgerüstet und geführt, jedoch z. B. in Oberitalien dazu angehalten wurden, dass „jeder Offizier und jeder Mann bei Paraden einen schwarzen Schurbart zu tragen“ habe ( S. 143). Es war ein Imperium, in dem der halbdebile Kaiser Ferdinand, der Vorgänger Franz Josephs, eines Tages bei Tisch brüllte „Ich bin der Kaiser ich will Knödel“, und in dem die Kaiserin Elisabeth I („Sisi“) magersüchtig und ichbezogen ihrem Gatten das Leben vergällte – und vor allem war es ein Doppelstaat mit einem ungarischen Partner, der seit dem Ausgleich von 1867 ständig gleichsam auf der Handbremse stand – kurz: es war Österreich-Ungarn.
Dieses Reich stand schon bei Regierungsantritt des Kaisers am Abgrund – die Revolution hatte in Wien bereits gesiegt, die österreichische Nationalversammlung beschnitt die Allmacht des Monarchen, Großfürst Metternich musste nach England fliehen, als der gerade mal 18 jährige Kronprinz anstelle seines regierungsunfähigen Onkels (Wir erinnern uns: „Ich bin der Kaiser, ich will Knödel“) an die Macht gehievt wurde. Er wählte den Namen Franz Joseph – Franz zum Angedenken an seinen absolutistischen Oheim Kaiser Franz I (1792-1835) und Joseph zur Erinnerung an den Aufklärer und Reformer auf dem Kaiserthron Joseph II (1765-1790). In Wahrheit, so Herre, war er weder das eine noch das andere sondern „eine Mischung aus Knecht Ruprecht und Nikolaus“ (S.264f.), ein mittelmäßig begabter, charakterlich durchaus anständiger Mensch, der durch die autokratische Rolle, die er beanspruchte, hoffnungslos überfordert war. Bei der Niederschlagung der Revolution von 1848 konnte er noch mit Hilfe der Russen den Knecht Ruprecht spielen, dann aber ging es nur noch bergab: im Krimkrieg verdarb er es sich unsterblich mit dem Zaren, bei Solferino und Magenta unterlag er 1859 den Franzosen in Oberitalien, bei Königsgrätz 1866 den Preußen, und in den Ausgleichsverhandlungen wurde er 1867 von den Ungarn über den Tisch gezogen. Aus Deutschland herausgeworfen, durch die Madgyaren an einer Reform des Reiches gehindert, regierte er nach 1867 noch fast ein halbes Jahrhundert ein Reich, dessen Völker wie eine Horde unzufriedener Rowdies sich gegenseitig vor die Schienbeine traten, so oft sie konnten. Bei all seinen bescheidenen Kräften redlich und fleißig, wurde er immerhin in seinem Alter so etwas wie der gute Kaiser, der das Reich alleine noch zusammenhielt und den Joseph Roth in seinen Romanen später so nostalgisch verklären sollte. Er verlor seinen Bruder Maximilian 1867 in Mexiko (erschossen), seinen Sohn Rudolf 1889 Mayerling (Selbstmord), seine Gattin Elisabeth 1899, (erstochen) ebenso wie seinen Neffen, den Thronfolger Franz Ferdinand 1914 (durch eine Bombe zerfetzt). Am Ende war er einsam und erstarrt wie die Strukturen seines Reiches. „Wenn die Monarchie schon zugrunde geht, dann soll sie anständig zugrunde gehen“, kommentierte der alte Kaiser im Juli 1914 die Kriegserklärung an Serbien, die tatsächlich zum Ende seines Reiches führen sollte.
Franz Herre hat die Geschichte Franz Josephs und seiner Epoche in einer ungemein informativen und geradezu romanhaft spannenden Biographie aufbereitet. Mit umfassender Sachkenntnis, geschliffenem Stil und Humor ist hier ein Meisterbiograph am Werk, der seinem Gegenstand, dem sensiblen und durch das Korsett der Pflichterfüllung immer weiter eingepanzerten Kaiser, mit Sympathie entgegentritt, ohne die Augen vor der endlosen Kette seiner Fehlentscheidungen zu verschließen. Kaiserin Elisabeth, Bismarck und Napoleon III kommen bei weitem nicht so gut weg, noch weniger, die ganze Charge unfähiger Hofschranzen, die aber doch nur verkleinerte Abbilder ihres höchsten Dienstherren waren. Das Buch endet mit einer melancholischen Betrachtung des bescheidenen Denkmals, das die Wiener ihrem Kaiser erst 1957 an einer abgelegenen Stelle des Hofgartens errichtet hatten. Dem Kaiser würds reichen, sollte man meinen.
Eine Bibliographie, eine ausführliche Chronologie und ein monumentales Personenverzeichnis runden dieses uneingeschränkt empfehlenswerte Buch ab.
Maximilian I hat es nicht besser verdient – korinthenkacker.de