Unter den großen europäischen Dynastien haben es die Wittelsbacher niemals so ganz in die erste Liga geschafft – und dass obwohl sie an Alter die Habsburger und die Bourbonen, die Romanows oder die Stuarts weit überragten und zeitweise sogar deutschen, den schwedischen, den ungarischen und den griechischen Königsthron besetzten. Wie unendlich bescheidener waren dagegen die Anfänge der Hohenzollern ( die als Grafen von Zollern ja auch aus Bayern stammen), denen es gelang, aus Brandenburg, der Streusandbüchse des deutschen Reiches“ den Kern einer nationalen Mission zu machen. Eine Erklärung für den bemerkenswerten Unterschied liegt vielleicht in der Kraft, mit der es die Hohenzollern verstanden, ihre Gebiete zusammenzuhalten, während es bei den Wittelsbacher schon im 13 und 14. Jhdt. zur folgenreichen Trennung einer bayrischen und einer pfälzischen Linie kam (die beide dann auch noch im Großen Dreißigjährigen Krieg gegeneinander als Todfeinde in der protestantischen Union“ und der katholischen Liga agierten).
Unterhalb dieser machtpolitischen Dimension aber war die Herrschaft der Wittelsbacher wenn schon nicht für Europa oder Deutschland, so doch für Bayern DIE prägende Epoche schlechthin. Ausgehend von der geschickten Hausmachtpolitik der Grafen von Wittelinespach ( erstmals erwähnt 1115) schafft Otto I, der 1180 vom Stauferkaiser Friedrich I Barbarossa belehnte erste Wittelsbacher Herzog von Bayern, die Grundlagen einer territorialen Macht, die sich gleichwohl bis an das Ende des Mittelalterns mit den starken ständischen Kräften des Landes auseinandersetzen musste. Für die dynastische Geschichte von entscheidender Bedeutung wurde die endlich 1506 kodifizierte Primogenitur, die eine politische Zersplitterung Bayerns verhinderte und in der Reformation die Parteinahme Wilhelms IV und Albrechts V gegen den Protestantismus, die zum Ausbau Bayerns als jesuitisch inspirierter Ort der Gegenreformation und zum Aufstieg des Landes zu einem der kulturhistorischen Zentren des europäischen Barock führte. Mit dem Aussterben der bayrischen Linie begann dann aber schon am Ende des 18. Jhdts der langsame Abstieg der Wittelsbacher, auch wenn es Max I Joseph schließlich sogar zum Königtum (von Napoleons Gnaden) brachte. Immerhin gelangte 1833 auch noch eine Seitenlinie der Wittelsbacher auf den griechischen Thron, womit die weißblauen Landesfarben Bayerns übrigens auf die griechische Nationalflagge kamen. In der großen Politik aber blieb am Ende nur noch das Bündnis mit Frankreich, um sich der übermächtigen habsburgischen und preußischen Nachbarn zu erwehren, und am Ende musste der unglückliche Märchenkönig Ludwig II auch noch in dem berühmten Kaiserbrief“ dem Hohenzollern Wilhelm I die Kaiserkrone des deutschen Reiches anbieten. Mit der Revolution von 1918 und der Flucht Ludwigs III ins Exil endet die Geschichte der Dynastie, deren Angehörige im Unterscheid zu den Hohenzollern niemals offizielle abgedankt haben.
Das ist in wenigen Worten die packende Geschichte, die Ludwig Hüttl in seinem umfangreichen Geschichtswerk über die Wittelsbacher erzählt. Das Buch liest sich von der ersten bis zur letzten Seite fast wie ein großer historischer Roman, der nicht nur den geschichtlichen Einzelheiten und den handelnden Personen sondern auch den Zeitumständen, den wirtschaftlichen, kulturellen und religiösen Rahmenbedingungen ausführlichen Raum einräumt. Erschröcklich die Geschichte von Ludwig dem Strengen, der im 13. Jhdt. seine unschuldige Gattin aus Eifersucht erschlägt, empörend der Mord an Agnes Bernauer, die unstandesgemäße Gattin Herzog Albrechts (1435), amüsant, wie Ludwig der Bärtige im 15. Jhdt. die französische Vollbartmode in den Alpenraum einführte oder wie die Münchener Bürger sich über die zugereisten Professoren aus dem deutschen Ausland als Nordlichter“ lustig machen. . Dass der Autor allerdings gerne ellenlang Originalquellen im Mittelhochdeutschen zitiert, stört den Lesefluss ein wenig. Aber was solls – dafür wird man andernorts durch eine ausführliche Schilderung der schwedischen, der griechischen und der kurkölnischen Wittelsbachersprösslinge entschädigt. Alles in allem also eine kleine Geschichte Europas, diesmal aber aus der Sicht der Bayern. Eine zehnseitige Stammtafel und ein ausführliches Register machen dieses Buch zu einem unverzichtbaren Nachschlagewerk für jedermann, der sich für Bayern, diesen schönsten Teil Deutschlands, interessiert.