Masuren – das klingt nach Tragik und Geheimnis, nach Verlust der alten Heimat und zugleich auch ein wenig nach deutschem Sibirien. Was aber bedeutet es? Und wie sieht es dort aus? Wen diese Fragen interessieren, der ist mit dem vorliegenden Buch von Andreas Kossut gut bedient. In 11 Kapiteln entfaltet der Autor die Geschichte dieses Grenzlandes zwischen Deutschland und Polen, angefangen bei den Sudauern und Galinden bis zum Untergang Masurens nach dem 2. Weltkrieg, und was es dort zu lesen gibt, reicht gleich für ein halbes Dutzend Reisen in die Seenlandschaft des südlichen Ostpreußens.
Als dieses südliche Ostpreußen um das Jahr 1000 zaghaft in des Licht der Geschichte trat, waren im heutigen Masuren nicht weniger als elf slawische Stämme ansässig, lauter kriegerische und wenig entwickelte agrarische Clangesellschaften, die insgesamt etwa 220.000 Menschen zählten und die konsequent jeden Missionar, der sich in ihr Land verirrte, den Garaus machten. Diese altmasurischen Stämme bekamen es allerdings bald mit dem deutschen Ritterorden zu tun, den der polnische Herzog Konrad von Masowien 1226 zur Missionierung dieses Heidenlandes nach Ostpreußen gerufen hatte. Bekanntermaßen hat der Deutsche Ordensstaat diesen Auftrag so gründlich erfüllt, dass ein großer Teil der Pruzzen und masurischen Stämme entweder ausgerottet oder in die Knechtschaft getrieben wurde. Allerdings blieb der Zustrom deutscher Siedler ins karge Land spärlich. Eine polnische Zuwanderung im größeren Stil setze erst nach 1411 ein, als der der Ordensstaat seine ersten vernichtenden Schläge durch das polnische Königtum bereits erhalten hatte. Als Albrecht von Brandenburg, der letzte Hochmeister des Ordens, den Ordensstaat 1525 im Zuge de Reformation säkularisierte, wurde schließlich ganz Ostpreußen und damit auch Masuren offiziell ein Lehen der polnischen Krone. ( 1525) – auch das eine wegweisende politische Entwicklung, denn im Jahre 1618 erbte die kurfürstliche brandenburgische Linie nach dem Aussterben der brandenburgischen Seitenlinie Ostpreußen als Lehen, ein Unterwerfungsverhältnis, das die Brandenburger schon wenige Jahrzehnte später im Zuge der schwedisch-polnischen Kriege abstreiften. (1660)
Nun wurde Masuren Teil eines souveränen brandenburgisch-preußischen Staates unter der Herrschaft der ehrgeizigen Hohenzollerndynastie. Verheerende Pestepidemien führten aber immer wieder zu Bevölkerungseinbrüchen in der ländlichen Bevölkerung, die durch polnische Zuwanderung ausgeglichen wurde. Bedeutend für das Verständnis der masurischen Besonderheit wurde, dass die zugewanderten Polen durch die von protestantischen Pfarrern betriebene Missionierung überwiegend zum Protestantismus übertraten, so dass damit das Grundmuster des alten Masurens entstand: polnisch in der Sprache, evangelisch im Glauben, preußisch in der Obrigkeit. Eine immer deutlicher sich ausprägende Zweiteilung Masurens begann ab dem 18. Jhdt.: die Städte wurden deutscher, das Land polnischer, ohne dass dies in der vornationalen besonders wichtig gewesen wäre. Alle waren Preußen, was sich auch darin zeigte, dass in den Befreiungskriegen Deutsche wie Polen gleichermaßen zu den Waffen griffen, um Preußens Stellung gegen Napoleon wiederherzustellen.
Mit der Reichsgründung 1871 trat das tolerante Preußische dann endgültig zugunsten eines eifernden deutschen Nationalismus zurück, der sich in Gestalt der Ostmarkenvereine ausdrücklich die Zurückdrängung des Polentums auf die Fahne geschrieben hatten. Die Deutschen verwandelten das Land mit Eisenbahnen, Straßenbau und Verbesserung der Verkehrswege immer stärker in ihr Land und empfanden das Polnische mit seinen hohen Geburtenrtaten als langfristige Bedrohung.
In dieser Phase der zunehmend national definierten deutsch-polnischen Entfremdung bricht der erste Weltkrieg aus, der 1914/15 Masuren schrecklich verwüstet, vor allem nachdem die Russen nach den beiden ersten Niederlagen bei Tannenberg und den masurischen Seen zurückkehren und im masurischen Winterkrieg wieder aus dem Land gerieben werden mussten. Bekanntermaßen ging der Weltkrieg für Deutschland verloren, so dass die siegreichen Alliierten 1920 in Masuren eine Volksabstimmung darüber anordneten, ob Südostpreußen polnisch oder deutsch werden solle. Obwohl die Mehrheit der Masuren polnisch spricht, stimmen sie mit überwältigender Mehrheit für Deutschland, ein Befund, mit dem dien Polen überhaupt nicht zurechtkommen und den sie den Masuren nach dem Ende des 2 Weltkrieges heimzahlen sollten.
In der Weimarer Republik entwickelt sich Masuren zum wirtschaftlichen Sorgenkind. Die Produktivität der kargen Böden ist so gering, dass immer mehr Menschen ins Ruhrgebiet abwandern ( diese Migration hatte schon im 19. Jhdt. begonnen ).die Verschuldung der Höfe nimmt überhand, Zwangsversteigerungen sind an der Tagesordnung, die Arbeitslosigkeit steigt ins Astronomische, und als die Brüningsche Sparpolitik beginnt, schwenkt ganz Masuren in dass Lager der Nazis ein. Überall in Masuren sind die Wahlerfolge der Nazis sogar noch höher als im Reich, am höchsten dort, wo arme polnischsprachige Masuren leben Gedankt haben die Nazis dies den Masuren nicht, denn nun bald beginnt eine rigorose Germanisierungspolitik, massenhaft werden die Orte umbenannt, und mit dem Beginn des 2. Weltkrieges wird Masuren schließlich Aufmarschgebiet zum Großen Ostkrieg Als dieser verloren geht und die russischen Truppen Masuren erobern, versinkt das Land in Blut und Chaos (siehe dazu die erschütternden Details auf S. 354).Das ist das Ende des alten Masurens, die Menschen werden zwangspolonisiert oder wandern, wann immer sie können, nach Deutschland, namentlich ins Ruhrgebiet aus.
Es ist eine packende und am Ende tragische Geschichte, die der Autor mit großer Sachkenntnis und Stilgefühl entfaltet. Zahlreiche Abbildungen, ein umfangreiches Register und eine Bibliographie runden dieses Meisterwerk der Regionalgeschichtsschreibung ab. Für jeden, dem das deutsch-polnische Verhältnis am Herzen liegt, ein unverzichtbares Leseerlebnis.