Laqueur: Geboren in Deutschland. Der Exodus der jüdischen Jugend nach 1933

Laquer Geboren in Deutschland500.000 Juden lebten 1933 in Deutschland, davon etwa 80.000 Jugendliche in der schulischen und akademischen Ausbildung. Es waren Heranwachsende aus den unterschiedlichsten Familien, mit Hoffnungen und Begabungen – und mit Träumen von einer erfüllten Zukunft, über die gerade in dem Augenblick, als sich das Leben wie ein großer Gabentisch öffnen sollte, der Vorhang niederging. Was wurde aus ihnen unter dem sich zunehmend verschärfenden nationalsozialistischen Terror? Was waren ihre Fluchtwege, ihre Schicksale, was war ihr Tod? Mit diesen beklemmenden Fragen beschäftigt sich das Buch des bekannten Terrorismusforschers Walter Laquer, der selbst als 17jähriger jüdischer Deutscher aus Deutschland nach Palästina geflohen und der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie entkommen konnte und der tausende von Schiskalen und Lebenswegen in einer Art Sammelbiographie zusammenstellt. Es gab Jugendliche, die im Auge des Taifuns selbst untertauchten, so genannte „U-Boote“, von denen immerhin über anderthalbtausend mitten in Deutschland von Nachbarn, Freunden oder sogar von Fremden beschützt, überlebten. Es gab abenteuerliche Köpenickiaden wie den Hitler jungen Salomon oder den heldenhaften Juden Gerhard Badrian, der in SS Uniform Juden aus Polizeigewahrsam befreite, es gab waghalsige Boostflüchtlinge, die auf der Ostsee, dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer ihr Leben riskierten und es gab Flüchtlingen, die über die transsibirischen Eisenbahn Shanghai erreichten. Leicht war die Flucht nicht – bedrückend ist es zu lesen, wie Flüchtlinge in Todesnot von der Schweiz, auch von den Vereinigen Staaten und Frankreich abgewiesen wurden, ganz zu schweigen von den Problemen bei der Einwanderung jüdischer Flüchtlinge in den Hexenkessel Palästina. Ein besonders bedrückendes Kapitel ist den Juden gewidmet, die es in den Einzugsbereich des kommunistischen Totalitarismus verschlug und die gleichsam vom Todeslager in den Gulag kamen und dennoch überlebten.

Insgesamt liest sich das Buch wie ein staunenswertes Brevier des 20.Jahrhunderts mit all seinen menschlichen Höhen und Tiefen, wie ein Kompendium von Heldentum, Verrat und Nächstenliebe, an deren Ende man überrascht ist, von dem Erfolg und der Anpassungsfähigkeit der flüchtigen Juden in den neuen Heimatgesellschaften – aber auch von der Tatsache, wie viele Juden nach 1945 in nach Deutschland zurückkehrten. Ein Grund für diese erstaunliche Anhänglichkeit an das Land, von dem die größte Katastrophe der jüdischen Geschichte ausging liegt allerdings auch in dem Umstand, dass bei all der schrecklichen Schuld, die die Deutschen auf sich geladen haben, längst nicht alle Deutsche Antisemiten waren. Mehr noch: viele Deutsche riskierten auch noch mitten im Weltkrieg Leib und Leben, um Flüchtigen zu helfen, sie zu verstecken oder zu ernähren. So ist dieses Buch nicht nur ein Zeitdokument ersten Ranges sondern auch ganz nebenbei ein wohltätiges Korrektiv gegen den unsäglichen Geschichtsschund a la Goldhagen.Laquer Geboren in Deutschland

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