Vom 15. bis ins 20. Jahrhundert faszinierte die Möglichkeit, von Europa aus Asien über die nordwestliche Route, also über den Norden des amerikanischen Kontinentes, zu erreichen die Menschen immer aufs Neue – und immer aufs neue scheiterten auch die findigsten Entdecker an den unvorhersehbaren Schwierigkeiten des großen Nordens. Im Zuge der Suche nach der Nordwestpassage paddelten die Franzosen den St. Lorenzstrom mit chinesischen Gewändern hoch, um die Ostasiaten an den Großen Seen auch stilecht begrüßen zu können, auf der Suche nach der Nordwestpassage überwinterten die Engländer jahrelang im Eis und erfanden dabei eine Winterakademie, damit die Mannschaft dabei nicht wahnsinnig wurde, es gab Heldenmut und Kannibalismus, doch am Ende jahrhundertelang niemals ein Durchkommen. Die mangelnde Belastbarkeit der Menschen, die Heimtücke der Indianer, das unberechenbare Klima, die Drift des Packeises und die mörderische Geographie verhinderten mehr als einmal den Durchbruch in letzter Minute. Expedition um Expedition wurde in das Eis geschickt, Menschen starben oder verschwanden, und erst ganz langsam ergab sich ein vages Mosaik der möglichen Durchgänge. Man kartographisierte Buchten, die nicht weiter führten, Halbinsel, die den Weg versperrten, fand den magnetischen Nordpol auf der Boohtia Halbinsel und studierte die Packeisdriften in warmen und kalten Sommern. Als John Franklin seine verhängnisvolle Expedition im Jahre 1845 begann, war eigentlich alles klar: entweder musste der Weg durch den Lancaster Sound, die Melville Straße und den Peel Sound über die King William Insel nach Westen führen – oder man versuchte, die Packeismassen der Banksinsel zu umrunden um die Amundsen See zu erreichen. So weit so gut, Franklin aber verschwand trotzdem mit seiner gesamten Mannschaft im Eis. Erst William Mac Cluren erblickte 1851 vom Pazifik kommen, nach einer Umrundung der Banksinsel mit dem freien Wasser der Melville Straße den Zugang zum Atlantik. Die Nordwestpassage war entdeckt, doch wie sich nun zeigte, war sie für die Schifffahrt absolut wertlos. Weitere Routen wurden in der Folgezeit entdeckt, doch nun befuhr sie niemand mehr, da der Panamakanal den nördlichen Umweg überflüssig werden ließ. Als erster wirklich in einem einzigen Rutsch durchgefahren ist der Norweger Roald Amundsen zwischen 1903 bis 1906, eine beachtliche Leistung, bei der es aber nichts mehr zu entdecken gab außer der eigenen Getriebenheit. Knapp vierzig Jahre später brauchte ein kanadisches Polizeischiff gerademal sieben Monate, der Öltanker Manhattan schaffte es 1969 in fünf Wochen, und heute können Touristen die Nordwestpassage auf russischen Eisbrechern befahren. So verhält es sich mit der Nordwestpassage wie mit den meisten Träumen, sie lösen sich auf im Augenblick ihrer Erfüllung, und man erkennt, dass ihr Wert allein in der Sehnsucht lag, die sie entfachten. Ein wenig von dieser Sehnsucht aber ist in dem vorliegenden Buch eingefangen, das in erstaunlicher Detailtreue fast ein halbes Jahrtausend Seefahrt und Abenteuer beschreibt. Dass es ein Jugendbuch sein soll, mag auch sein, aber es ist in Wahrheit viel mehr als das – es ist ein Abenteuerbuch für große und kleine Jungs, die sich das Fernweh nach Abenteuer, Gefahr und Geheimnis bewahrt haben. Wer sich dann auch noch die Mühe macht, und die vier ausgezeichnet geschriebenen Kapitel des Buches mit einem Atlas von Nordkanada in der Hand zu lesen (denn die vier Karten des Buches sind wirklich zu klein), wird umfassend und unterhaltsam informiert. Alles in allem das ideale Buch für kalte Winterabende