Wie auch der schon die ersten beiden Bände der vorliegenden Reihe zur Geschichte Frankreichs beginnt auch der dritte Band mit Bestandsaufnahme über Frankreichs Rolle in Europa. Nach der Auffassung des Autors war Frankreich am Beginn des 16. Jhdts. schon eine relativ klar umgrenzte quasinationale Identität, die sich das französische Königtum gruppierte.
Was aber war nun das Besondere an diesem französischem Königtum? Die französischen Könige zwischen 1229 und 1792 haben immer sehr lange regiert ( im Durchschnitt 25-27 Jahre, was ein ungewöhnlich hoher Wert ist ), sie hatten fast immer Söhne zur Hand, so dass sich im Unterschied zu Deutschland die Primogenitur gegen das Wahlkönigtum durchsetzte. Unter diesen Königen fanden sich keine Monster, sondern sogar eine ganze Reihe passabler Herrscher wie etwa Ludwig IX., Heinrich IV. Ludwig XIV. oder Philipp II. So entstand auf der Basis dieses Königtums schon relativ früh ein ungemein homogener und vergleichsweise großer Bevölkerungskern, der nach der Krise des Hundertjährigen Krieges wie ein übermächtiges Gravitationszentrum die Peripherien an sich zog. Im Unterschied etwa zu Deutschland wurde diese schrittweise Homogenisierung Frankreichs dadurch vorangetrieben, dass es den Königen im Laufe der Jahrhunderte gelang, praktisch das ganze Land aus einem Konglomerat von Vasallenstaaten in eine einzige abhängige Krondomäne zu verwandeln.
Wie hat sich Frankreich als homogenstes und am Beginn des 16. Jhdts. mächtigster Staat in der Zeit zwischen 1515 bis 1789 geschlagen? Nicht sonderlich glücklich, meint Meyer, es hat sich aufgerieben und verzettelt zwischen zwei Gegnern, den Habsburgern auf dem europäischen Festland und den Engländern auf den Weltmeeren und hat doch beide nicht bezwingen können. Es hat den Aufbruch nach Übersee verschlafen und dann in Kanada viel zu viel hineingepumpt, was dann doch an die Engländer verloren ging. Immerhin haben die Bourbonen auf Kosten des deutschen Nachbarn aus dem „Fünfeck“ durch die Okkupation von Lothringen und dem Elsass das „Sechseck“ („Hexagon“ – vgl. die Bespechung des 1. Bandes der Geschichte Frankreichs) werden lassen und die Rheingrenze wenigstens teilweise erreicht, was ihre bleibende territoriale Leistung gewesen sein soll. Eine französische Hegemonie in Europa aber hat es nur eine gute Generation gegeben ( 1660-1685), weil die Ressourcen Frankreichs einfach zu beschränkt waren. Es war zwar führend in der Artillerie (sehr interessant: S.54: Erfahrungen im Glockengießen als Startvorteil bei der Kanonengießerei ), doch es mangelte an kapitalistischem Unternehmensgeist, an technischem Verständnis, an Eisenerzen, am richtigen Holz ( vgl. S. 79: das französische Holz erlaubte nur den Bau von Kriegsschiffen mit einer maximalen Bestückung von 74 Kanonen), an der Volksbildung, die gegenüber dem italienischen und deutschen Nachbarn weit zurück lag sowie an der demographischen Entwicklung, bei der Frankreich seinen Vorsprung ab dem 18. Jhdt., an Russland und Deutschland verlor.
Wie stellt sich die Geschichte Frankreichs in diesen dreihundert Jahren im einzelnen dar? Sie beginnt natürlich mit dem großen Gegensatz zum Haus Habsburg, der auf zwei Feldern ausgefochten wird, dem burgundischen und dem italienischen, und in beiden Fällen zogen die Franzosen den Kürzeren. Im Schatten dieses Gegensatzes, das ist wahrscheinlich seine geschichtliche Funktion, aber retteten die Franzosen den deutschen Protestantismus vor der Gegenreformation Karls V., aber um den Preis, dass sie selbst fast ein halbes Jahrhundert im religiösen Bürgerkrieg (1562-1598) versanken.
Frankreichs Glanzeit beginnt mit Ludwig XIV., allerdings vorbereitet durch die geniale Regierungszeit Richelieus, des ersten drei großen Kardinale ( Richelieu, Mazarin, Fleury), der Frankreich „absolutismusreif“ machte. Ludwig XIV. kommt als gut informierter und fleißiger König in dem Buch besser weg als in der allgemeinen Geschichtsschreibung, nur zwei wesentliche Fehler werden ihm angekreidet, die Aufhebung des Edikts von Nantes und der Pfälzische Erbfolgekrieg, der ganz Europa gegen Frankreich aufbrachte.
Nach dem Tode Ludwigs XIV. begann eine Phase der Konsolidierung, „die glücklichste Zeit des Ancien Regime“, während der zwischen 1715 bis 1743 militärische Auseinandersetzungen, wann immer möglich, vermieden wurden. Frankreich erholte sich demographisch und finanziell von den Kriegen des Sonnenkönigs, seine Kultur, obwohl nicht mehr so originell wie im 17. Jhdt., wurde in ganz Europa beispielgebend, doch in der Politik setzte es seit 1750 immer wieder auf das falsche Pferd, so dass es 1763 ganz Kanada verlor und durch sein Eingreifen in den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg sich schließlich entgültig ruinierte. War deswegen die Revolution unvermeidlich? fragt der Autor im letzten Teil des Buches, ohne eine bündige Antwort zu liefern. Seine Ausführungen offerieren stattdessen ein Bedingungsgefüge, das je nach Lage der Dinge auf einen Umsturz zulaufen musste oder auch nicht. Der Weg zur Revolution begann demnach schon am Beginn des 18. Jhdts. durch zwei folgenschwere Entscheidungen, die sich in dieser Klarheit noch nicht im allgemeinen Bewusstsein festgesetzt haben. Die erste war die Umstellung auf den Goldstandard, die der bis dahin übliche Inflationierung der Staatsschulden einen Riegel vorschob und deswegen entweder tiefgreifende Reformen erzwang oder den Staatsbankrott in Kauf nahm. Genau diese Reformen aber wurden durch die Rangerhöhung der französischen Parlements, die schon in den letzten Jahren des Sonnenkönigs einsetzte und die mit ihrer engstirnigen und partikularen Interessenpolitik über das ganze 18. Jhdt. jeden Reformansatz blockirren sollte, schon im Ansatz verhindert. Gänzlich unmöglich wurde die Gesundung der Staatsfinanzen durch die bereits erwähnte Serie vollkommen unnützer Kriege (Einmischung in den Österreichischen Erbfolgekrieg und den Siebenjährigen Krieg, Einmischung in den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg), die die Staatschulden ins Unermessliche trieben und bei denen nichts für Frankreich heraussprang, als ein allgemeiner politischer Macht- und Ansehensverlust. Ein letzter und viel versprechender Versuch Ludwigs XV., der als Vertreter des Gemeinwohls 1770 die dreistesten Interessenvertreter des Parlements endlich verhaften ließ, wurde durch seinen überraschenden Tod im Jahre 1774 zunichte gemacht. Ludwig XVI, schlecht beraten und persönlich von einer erschütternden politischen Naivität, berief die Parlements wider ein und besiegelte damit die erste Etappen seines Ansehensverlustes, der schließlich nach den vergeblichen Reformversuchen von Turgot, Necker und Calonne in die Revolution münden sollte.
Es gehört zu den Vorzügen des vorliegenden Buches, dass es dem Autor gelingt, all diese Ereignisse als Folge von Entscheidungen dazustellen, die auch ganz anders hätten ausfallen können. So wird für den Leser die Offenheit der Geschichte sichtbar. Dieser Vorzug des Buches wird ergänzt durch eine geradezu staunenswerte Multiperspektivität ergänzt, die Militärgeschichte, Klimawandel, Ökologie, Sozial- Wirtschafts- und Ereignisgeschichte mit Hilfe eines überaus prägnanten und anschaulichen Stils zu einer nachvollziehbaren Zusammenschau bringt. Dass am Ende des Buches neben einem umfangreichen Literaturverzeichnis und einem geradezu monumentalen Register nur zwei Karten und keine Genealogien zu finden sind, ist das einzige Manko dieses ganz ausgezeichneten Werkes.