Mal ehrlich, wem schlafen bei strukturgeschichtlichen Werken ala Wehler und Kocka nicht die Füße ein? Bei ihnen verschwindet das, was an den Unwägbarkeiten der Geschichte faszinierend ist, im Tabellen- und Gesellschaftssalat. Auf der anderen Seite ist eine eine Geschichtsschreibung nach dem Kompass der „Großen Männer“ natürlich überholt. Wie also und zu welchem Zweck soll Geschichte betrieben werden? Meine Antwort: so wie es der Altmeister Michael Rostovtzeff in dem vorliegenden Buch vormacht.
Der vorliegende zweite Band der „Geschichte der Alten Welt“, der die Entwicklung Roms von den Anfängen bis Konstantin darstellt, verbindet Personal- und Strukturgeschichte mit einer Leichtigkeit, als wären daran nicht Generationen von Historikern gescheitert. Es ist spannend zu lesen, wie sich Pompejus und Cäsar in die Haare geraten, letztlich aufschlussreicher aber sind die Einsichten, die Rostovtzeff über die Senatorenherrschaft als Ursache für Cäsars Scheitern entwickelt. Die römische Reichskrise des 3. Jahrhunderts ist packend erzählt, doch erst die Beleuchtung der Veränderungen in Landwirtschaft und Armee lassen die Ursache der Krise deutlich werden. Am beeindruckendsten fand ich das letzte Kapitel über die „Gründe für den Niedergang der antiken Kultur“. Es beantwortet ganz nebenbei auch die Frage, warum Geschichte betrieben werden soll – um aus der Vergangenheit zu lernen! Was jedenfalls Rostovtzeff am Beispiel der massenhaften Zuwanderung kulturfremder Germanen über die Reichsgrenzen aufzeigt, was er über den demographischen Selbstmord der Reichsbewohner anmerkt, deren Fortpflanzungsraten plötzlich einbrachen und seine Hinweise über die verhängnisvollen Auswirkungen eines totalitären, alle Lebensbereiche überwölbenden Staates lesen sich wie eine Paraphrasierung all der Alarmzeichen, die auch gegenwärtig unübersehbar sind.
So ist das vorliegende Werk, Geschichtsschreibung im besten Sinne: unterhaltend, belehrend und auf eine beunruhigende Art prophetisch.