Wer möchte nicht gerne Romantiker sein? Wer möchte nicht gerne die engen Grenzen der Vernunft übersteigen und in seliger Selbstergriffenheit mit der Geliebten, dem Volk, der Musik oder der Kunst so intensiv verschmelzen, dass kein Blatt Papier mehr zwischen seine edlen Gefühle und die Weltseele passt?
Sie auch?
Dann ist das vorliegende Buch nichts für Sie, denn es handelt zwar von der Romantik aber gesehen und analysiert mit den Mitteln eines glasklaren Verstandes. Darin liegt seine Stärke- eine richtige Schwäche hat es übrigens nicht.
Stark ist es, weil es die „Romantik als Epoche“ und das „Romantische“ als Lebensgefühl in ihrer geschichtlichen Gewordenheit plastisch herausarbeitet – und zwar so gründlich, dass allein der erste Teil als komplette Monografie über die Romantik als Literaturepoche gelesen werden kann. Herder, Fichte, Schelling, Friedrich Schlegel, Tieck, Novalis, Hölderlin Schleiermacher, Kleist, Eichendorff, Brentano, Achim von Arnim, E.T.A. Hoffmann und viele andere mehr haben nacheinander ihre derart zitatengespickten Auftritte, dass einem fast der Scheitel qualmt. Germanistikstudenten, die sich mit diesem Buch auf ihre (thematisch natürlich wie immer vorab eingegrenzte) Zwischenprüfung vorbereiten, brauchen vor keinem Prof mehr zu zittern.
Noch stärker aber ist das Buch im zweiten Teil, den ich gerne dem germanistischen Hauptstudium zuordnen würde. Denn im zweiten Teil entfaltet Safranski eine Art Geistesgeschichte der Romantik als geschichtswirksames Lebensgefühl in seinen verschiedenen epochalen Ausprägungen von Heine bis zur Gegenwart. Zunächst konstatiert Safranski einen Sprung von der Poesie in die Praxis, denn nach der Erkundung neuer Erfahrungs-und Poesieräume durch die eigentlichen Romantiker radikalisierte sich bei den nachfolgenden Denkern in der Konfrontation mit dem Ungenügen der gesellschaftlicher Zustände und der allgemeinen Entzauberung der Welt zu einem anspruchsvollen, um nicht zu sagen: größenwahnsinnigen Projekt. Worin bestand dieses Projekt: die kraftlos gewordenen gesellschaftlichen Werte und die nachlassende Bindekraft der Religion werden durch eine neuen Mythos ersetzt, der mit den Mitteln der Kunst (insbesondere der Musik) begründet wird. Wagner lässt grüßen. Leitbild dieses neuen Mythos ist der starke und schöne Mensch in seiner ästhetischen Selbstentfaltung – auch und gerade dann, wenn die Apologeten dieses Menschheitsprojektes mitunter mickrige Knacker sind.
Nach dem ersten Weltkriege entsteht nach Safranksi eine regelrechte Sehnsucht nach der Neuverzauberung der Welt, (vor der Max Weber 1919 so eindringlich warnte) Diese Sehnsucht nach der Neuverzauberung der Welt, die sich der Nationalsozialismus zunutze zu machen wusste, hat der Theologe Paul Tillich in seiner Kritik der „Politischen Romantik“ als einen Taschenspielertrick bezeichnet, der sich anheischig macht, „vom Sohn her die Mutter und den Vater zu erfinden“. Andere Kritiker, die Safranski ausführlich zu Wort kommen lässt (Voegelin, Berlin u.a.) werfen der politischen Romantik rückblickend auf die NS-Zeit vor, das Leben zuerst gedanklich zu ästhetisieren (damit die Destruktion aller Werte eigentlich zu vollenden) und dann – im Umformungs- und Neuschöpfungswillen – praktisch zu vergewaltigen, weil die Menschen eben keine Kunstmaterialien sind.
Am Ende dieser hier nur anskizzierten und hochinteressant vorgestellten Problemgeschichte wartet dann allerdings ein etwas dünnes Fazit auf den Leser: Romantik, so Safranski, ist als Lebensgefühl ein legitimer Teil unserer Wirklichkeit, man hüte sich aber davor, sie ohne den Willen zum Kompromiss in die Politik einzuführen. Dagegen kann an natürlich nichts sagen, das hat man aber auch schon vorher gewusst.
Alles in allem eine beeindruckende Abhandlung, die ihren Reiz im vorwiegend im Detail entfaltet. Auch für den, der das meiste schon wusste, ist die Zusammenschau mit Gewinn zu lesen. Umso bedauerlicher, dass Safranski sich um so mehr zurückhält, je mehr sich das Buch der Gegenwart nähert. Ich hätte zum Beispiel gerne etwas mehr über die Romantik der 68er gelesen, und noch mehr hätte mich interessiert, mit welchen Traditionen der deutschen Geschichte die technikfeindliche Ökobeweung verbunden ist. Weitgehend unthematisiert bleibt auch, dass die Sehnsucht nach Neuverzauberung der Welt in der Gegenwart ja keinesfalls verschwunden ist sondern atomistische Formen angenommen hat, die durch Unterhaltungsindustrie und Massenmedien „befriedigt“ werden. Und last not least nervt mich ein wenig, dass die kenntnisreiche Auswahl der Zitate, mit denen man auf jeder Intellektuellenfete punkten könnte, ohne Quellennachweise präsentiert wird.
Aber das sind natürlich alles nur Quisquilien, und es bleibt zu hoffen, dass der Meister möglicherweise diese offenen Problemhorizonte in der Gegenwart in seinem nächsten Buch durchleuchtet. Einen Arbeitstitel hätte ich schon: „Romantik. Eine deutsche Malaise“.