Snyder: Bloodlands

Snyder BoloodlandsDie vorliegende Monographie von Timothy Snyder beschäftigt sich mit einer europäischen Region, in der sich innerhalb einer bestimmten Zeitspanne alle Schrecken des Jahrhunderts in einer Weise entluden, dass den Leser noch heute das Grausen packt: den Bloodlands. Und Bloodlands versteht Snyder ein genau bestimmbares Gebiet: nämlich die Territorien Zwischenkriegspolens, der baltischen Staaten, Weißrusslands, der Ukraine sowie der westlichen Sowjetunion in der Region um Smolensk. Diese Regionen hatten das einmalige Pech, kurz nacheinander der kommunistischen und der nationalsozialistischen Mordmaschinerie ausgeliefert zu sein: 14 Millionen ermordete Menschen (ohne die Millionen gefallener Soldaten) in weniger als zwanzig Jahren waren die Folge.

Die chronologisch aufgebaute Darstellung beginnt mit der ukrainischen Hungersnot, deren unglaubliche Einzelheiten und Ausmaße noch immer nicht wirklich im westlichen Geschichtsbewusstsein angekommen sind. Sie setzt sich fort über die Großen Säuberungen des Jahre 1937, die in den Bloodlands in Wahrheit eine ethnische Säuberung zu Lasten der Polen innerhalb der sowjetischen Territoriums gewesen sind. In den Dreißiger Jahren, als so genante image132Humanisten wie Heinrich Mann die UdSSR als Vorschein des Paradieses priesen, hatte Stalin also bereits mit den millionenfachen Massenmorden in den Bloodlands begonnen. Übertroffen wurden diese Untaten dann in kürzester Zeit durch den nationalsozialistischen Massenterror, der es innerhalb von nur 6 Jahren auf neun Millionen Morde brachte. Entgegen der öffentlichen Bewertung aber waren mit dem Ende des zweiten Weltkrieges die Leiden in den Bloodlands keineswegs zu Ende. Der Nationalsozialismus war zusammen gebrochen, aber der vollentfaltete Stalinismus konnte als siegreicher Mörder seine Beuteterritorien sogar noch ausweiten. Hinrichtungen, Massenverhaftungen und ethnische Säuberungen gingen noch bis zum Tode Stalins weiter, zuletzt in Gestalt eines stalinistischen Antisemitismus, der ebenfalls heute gerne verschwiegen wird.

Ohne die Morde des Spätstalinismus nach 1945 kommt Snyder am Ende seines IMG_5134Buches zu folgender Auflistung der Opfer, die man kaum wiedergeben mag: „3,3 Millionen Sowjetbürger ( hauptsächlich Ukrainer), die in der ukrainischen Sowjetrepublik 1931/2 von der eigenen Regierung vorsätzlich dem Hungertod preisgegeben wurden, 300.000 Sowjetbürger (hauptsächlich Polen und Ukrainer), die von der eignen Regierung als Teil des Großen Terrors in den Jahren 1937/8 erschossen wurden, 200.000 Polen, die von der sowjetischen und deutschen Regierung zwischen 1939-1941 im besetzten Polen erschossen wurden, 4,2 Millionen Sowjetbürger ( hauptsächlich Russen, Weißrussen und Ukrainer) die von der deutschen Besatzung dem Hungertod preisgegeben wurden, 5,4 Millionen Juden (hauptsächlich polnische und sowjetische Bürger), die zwischen 1941 bis 1944 von den Deutschen erschossen oder vergast wurden und 700.000 Zivilsten, die von den Deutschen bei Vergeltungsaktionen“ erschossen wurden, die meisten in Warschau und Weißrussland“(Seite 419).

Alles in allem handelt es sich bei dem vorliegenden Buch um ein epochales historisches Werk, das aus meiner Sicht gleich zweierlei leistet: Zunächst ist es eine faktengesättigte geschichtliche Monografie mit zahlreichen Einsichten und Querverweisen, die auch den Kenner erstaunen werden. Jedenfalls war mir das IMG_5146Ausmaß des kommunistischen Terrors gerade gegen die Polen bisher unbekannt. Auf der anderen Seite liefert Snyder eine implizite Theorie des osteuropäischen Antisemitismus, wenn er darauf hinweist, dass zum Beispiel die antisemitischen Ausschreitungen im Nachkriegspolen in einem Land stattfanden, indem der Anteil der Juden auf 1 % der Bevölkerung gesunken war, während der Anteil der Juden in de kommunistischen Geheimpolizei in Polen bei 40 % lag. Zum anderen ist das vorliegende Werk nicht mehr und nicht weniger als eine Rehabilitierung und Vertiefung der klassischen Totalitarismustheorie, die seit Hannah Arendts epochalem Werk über die Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ die gemeinsamen Wesenszüge von Nationalsozialismus und Kommunismus herausstellt. Wenn man bedenkt, dass ein Großteil der pseudowissenschaftlichen Aktivität so genannter antifaschistischer Historiker in den letzten zwanzig Jahren in einer Desavouierung dieser Theorie und damit einer teilweisen Exkulpation des Kommunismus bestand, dann kann man sich kaum eine wirkungsvollere Bekräftigung dieser Perspektive vorstellen als das vorliegende Meisterwerk.

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