Der Roman eines Jahrtausends“ – nicht mehr und nicht weniger ist das ambitionierte Programm des vorliegenden Buches. Es beginnt mit „der Erfindung der Schönheit“ in der griechischen Antike, setzt sich fort mit der „Erfindung der Liebe“ im frühen Christentums, um mit der Blüte des byzantinischen Reiches unter Kaiser Justinian zu enden. „Romanhaft“ ist an dem vorliegenden Buch allenfalls der poetische Stil, historisch ist es nur in der lockeren Chronologie, die der Autor immerhin einhält – wissenschaftlich im engen Sinne wird man es auch nicht nennen können, dafür ist seine gesamte Diktion viele zu sprung- und anekdotenhaft. Was ist es also?
Meiner Ansicht nach handelt es sich um einen großen feuilletonistischen Essay über die Spätantike (denn diese Epoche nimmt mit Abstand den größten Raum des Werkes ein) und ihren Einflüssen auf unsere heutige Welt. Dabei schweift der Autor mitsamt seiner großen Belesenheit kreuz und quer durch die Jahrhunderte, mal geht er mit dem Nahlinse an die Ereignisse, mal springt in kühnem Schwung durch die Jahrhunderte hinweg. Die Feinheiten frühchristlicher Konzilien werden ebenso abgehandelt wie der Aufstieg Konstantins des Großen, von dem der Autor geradezu fasziniert ist. Wir sehen den verknöcherten Diokletian in seinem Palast über die Ausrottung des Christentums grübeln, dann rast der christliche Pöbel durch das multikulturelle Alexandria, um der Philosophin Hypatia den Gar aus zu machen – und über allem erhebt sich der totalitäre spätantike Zentralstaat, der alles und jedes zu kontrollieren wünscht und jeglichen Individualismus zerstört (Wegen dieser Kritik am totalitären Staat wurde das Buch bei seiner Erstauflage im Jahre 1941 übrigens von den Nazis verboten). Irgendein roter Faden ist bei der Lektüre nicht auszumachen, dafür geizt der Autor keineswegs mit seinen Wertungen – auch wenn man sich über deren Uneinheitlichkeit ein wenig wundert. Wenn Thiess über die ungebildeten christlichen Massen schreibt, hat man fast das Gefühl, als bedauere der Autor den Sieg des Christentums über die spätantike Philosophie. Dann wieder heißt es kurz und knapp: „Die Antike stank vor Hass!“ – und die Idee der Liebe und des Mitleids war ein Segen.
Wenn man dem Autor glauben kann, dann wurde die Welt allerdings auch durch den Sieg des Christentums keineswegs besser. Der alte Adam blieb der gleiche und fand problemlos Mittel und Wege, seine Mitmenschen zu knechten. „Die Weltgeschichte ist eine Schreckenskammer,“ heißt es dazu auf S. 250, „ein Meer von Blut und Tränen, in dem die wenigen ruhigen und friedlichen Zeiten wie einsame Inseln schwimmen.“ In der hundertfachen Variation dieser Grundmelodie anhand zahlloser Details liegt der makabre Bildungs- und Unterhaltswert des vorliegenden Buches. Wer es etwas sachlicher mag, der lese hier.