Von Pistohlkors: Deutsche Geschichte im Osten Eruopas. Die Baltischen Länder

Geschcihte der Deutschen im BaltikumWer heute als Deutscher nach Südtirol, ins Elsass oder nach Masuren fährt, bereist Länder, die den größten Teil ihrer Geschichte zu Deutschland gehört haben und die nun, nach den großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts, zum untrennbaren Bestandteil anderer Nationen geworden sind. Das ist bitter, aber nicht zu ändern. Der Niedergang des deutschen Einflusses namentlich im Osten Europas aber zeigt sich nicht nur im Schrumpfen der territorialen Substanz sondern mehr noch im Verschwinden der deutschen Minderheiten aus nahezu allen Staaten des europäischen Ostens. Wer kennt heute noch die Geschichte der Wolgadeutschen, der Siebenbürger Sachsen, der Deutschungarn oder anderer 1 (14)-001Gruppen, die die große Zentrifuge der Weltkriege entweder vernichtete oder auf das geschrumpfte Deutschland zurückwarf?
Gert von Pistohlkors beschreibt in dem vorliegenden Buch die Geschichte der Deutschen in den Baltischen Ländern, angefangen von der friedlichen Livenmission des 12. Jhdts. bis zum Exodus der Deutschbalten vor dem Zweiten Weltkrieg. Missionare, Hansekaufleute, Abenteurer und schließlich die Mitglieder des Deutschen Ritterordens waren die ersten Träger deutscher Kultur in den baltischen Ländern, einer Kultur, die zwar in Gestalt der Hanse ( 1235 Entstehung der Hansestadt Reval, des heutigen Tallinn ) den baltischen Raum an ein gesamteuropäisches Handelsnetz anschloss, zugleich aber nichts dabei fand, die baltischen Heiden im Dienste des christlichen Glaubens notfalls auszurotten.
Der dominante Einfluss des Deutschtums in Gestalt von Hanse und Deutschritterordens brach mit dem Ende des Mittelalters zusammen. Mit dem Erstarken der polnischen, der schwedischen und der russischen Monarchien geriet das Baltikum in den Sog endloser Kriege, die am Ende durch den Sieg Russlands entschieden wurden.
Wie wechselvoll die Kämpfe um das Baltikum waren, wie bunt das Personal und wie grausam die Kriege wird in dem vorliegenden Buch in geradezu epischer Breite entfaltet. Manches, was es dort zu lesen gibt, ist staunenswert: etwa die Geschichte des Herzogtum Kurlands, das unter einem deutschen Fürsten im 18.Jhdt. seine Schiffe über die Weltmeere schickte und Kolonien an der afrikanischen und südamerikanischen Küste erwarb. Anderes ist schrecklich: etwa die Kriegszüge Iwans des Schrecklichen, dem zwischen 1558 bis 1586 die halbe estnischen Bevölkerung abschlachten ließ.
Dem deutschen Einfluss im Baltikum haben all diese Kriege nicht sonderlich geschadet. Die Deutschen blieben die Oberschicht in Reval, Tallin und den anderen baltischen Städten, während die späteren Esten, Letten und Litauer ihre Sprache und Kultur auf dem flachen Land pflegen mussten Erst als das 19. Jhdt. als das Zeitalter des Nationalismus auch bei Esten, Letten und Litauern den Wunsch nach einem eigenen Staat hervorbrachte, gerieten die Deutschen ebenso wie die Russen ins Fadenkreuz einer fremdenfeindlichen Gesinnung. Bekanntermaßen sind dann die drei baltischen Staaten, die nach dem Zusammenbruch des deutschen und russischen Kaiserreiches im Jahre 1918 entstanden nur eine Episode geblieben, eine Episode allerdings, in der die Deutschbalten zum ersten Mal erfahren mussten, was es bedeutet, als Minderheit in einem anderen Nationalstaat zu leben.
Mit dem Hitler-Stalin-Pakt begann dann der Untergang des Deutschbaltentums. Als nach dem Beginn des 2. Weltkrieges die beiden Diktatoren Osteuropa unter sich aufteilten und Hitler den Russen den größten Teil des Baltikums überließ, hatten die Deutschbalten die Wahl zwischen Heimat und Nation. 95 % aller Deutschbalten wählten die Auswanderung nach Westen. Dass damit eine fast 800 jährige Geschichte endete, mag bitter sein, dass dadurch aber auch ein großer Teil der Deutschbalten vor der Vernichtungsorgie des totalitären Sowjetkommunismus ab 1944 bewahrt wurde, ist immerhin ein Trost.
Gert von Pistohlkors, selbst der Spross einer deutschbaltischen Familie beschreibt die wechselvolle Geschichte der Deutschbalten in dem vorliegenden Buch ungemein detailliert, aber immer gut verständlich und hervorragend bebildert. Ein umfangreiches Personen- und Ortsregister sowie eine geradezu monumentale Bibliographie runden diese erste wissenschaftlich seriöse Gesamtschau der deutschbaltischen Geschichte im Osten Europas ab. Für Leute, die mal schnell nach Riga oder Reval jetten wollen, zweifellos zu opulent – aber unverzichtbar für alle, die sich wirklich ernsthaft für die deutsche Geschichte im Osten Europas interessieren.Geschcihte der Deutschen im Baltikum

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