Woher weiß man eigentlich, was auf der Welt vor 100 Millionen Jahren passierte? Wie die Saurier aussahen und aus welcher buckligen Verwandtschaft wir selber erwuchsen? Das vorliegende Buch „Eine Karte verändert die Welt“ von Simon Winchester wird auf all diese Fragen auch keine erschöpfende Auskunft geben, aber es wird den Blick für die Richtungen schärfen, in denen sich die Antworten finden lassen. Das Buch erzählt eine Lebensgeschichte aus den Gründerjahren der Geologie, aus einer Zeit also, in der die so genannten Koryphäen des Faches noch an Neptunismus und ähnlichen Humbug glaubten, während der Schmiedesohn William Smith bereits um 1790 mit Schüppe und Hacke den Boden umgräbt und sich seinen Reim auf die Unerklärlichkeiten macht, auf die er stößt. Woher kommt die Kohle, die am Ende des 18. Jhdt. zum Gold Englands wurde, und wieso haben die Flöze fast alle die gleiche Struktur? Warum wechseln die Gesteinsschichten so abrupt wie die Moden und zwar fast immer in der gleichen Reihenfolge? Während der begnadete Kartograph John Cary 1794 seinen ersten „Atlas von England und Wales“ herausbringt, keimt in William Smith der kühne Plan, eine Karte zu zeichnen, die die Welt verändern wird und zwar nicht eine Karte der Oberflächenstruktur, sondern eine Karte der Unterwelt und ihrer Schichten, mit deren Hilfe sich vielleicht sogar all jene geologischen Kostbarkeiten besser finden lassen, nach denen die Epoche so giert. An diesem Ziel arbeitet der wackere Smith Jahr für Jahr und wird doch nicht froh daran, weil sich immer neue Schweinehunde finden, die ihm die Früchte seines Geistesschweißes abspenstig machen – allen voran der gelackerte adelige Plagiator George Bellas Greenough, der als Präsident eines einflussreichen mineralogischen Dilettantenclubs der großen geologischen Karte Smith mit einem schamlosen Plagiat zuvorkommt. So wird die Karte, die um 1815 die Welt verändern sollte, finanziell erst mal ein großer Reinfall, weil andere den Ruhm einheimsen und Smith nur die Schulden blieben. Von einem der der privaten Schuldgefängnisse Londons gezeichnet, von der etablierten Gesellschaft verächtet, seines Besitzes verlustig verlässt Williams 1819 verbittert die Metropole Englands – mit nichts anderem mehr im Gefolge als seiner gestörten Ehefrau, die ihn fast noch mehr Nerven kostet als seine Gläubiger und Feinde.
Doch der Engländer sagt nicht umsonst: „Einen guten Mann kann man nicht auf Dauer unten halten“, und gottlob bewahrheitet sich dieses Sprichwort auch im späten Leben des unglücklichen Smith. Die Geologie als Wissenschaft macht Fortschritte, klarere Geister erkennen den Wert der Smith’schen Schriften und Karten, die Plagiatteure werden entlarvt, und 1831 erhält William Smith mit der erstmals gestifteten Wollaston-Medaille, mit Leibrente und Ehrendokterwürde endlich die verdiente Anerkennung als „Vater der englischen Geologie“ – um dann kurz darauf wie im Märchen glücklich und zufrieden das Zeitliche zu segnen. Simon Winchester, der mit „Der Mann der die Wörter liebte“ bekannt wurde, erzählt diese Geschichte so kurzweilig und spannend wie möglich. Obwohl seine Hauptperson William Smith mitunter so staubstrocken wie der Kalk ist, der er untersucht, gelingt es dem Autor mit jeder Menge Lokalkolorit und Dönekens alles in allem, ein recht farbenfrohes Bild der Smith’schen Ära zu zeichnen. Auch von der Geologie ist reichlich die Rede, wenngleich man bei den mineralogischen und paläontologischen Feinheiten doch hier und da zum Lehrbuch Zuflucht nehmen muss. Aber unterhaltsam und spannend ist es allemal: das Buch weckt das Interesse an der Geschichte der Erde durch die Biographie eines lange verkannten Genies, und das ist doch schon eine ganze Menge.