Colin Crouch bezeichnet in seinem gleichnamigen Buch Postdemokratie als jenes Stadium der Demokratie, in dem die Prozeduren und Fassaden der Demokratie noch existieren, in denen sich aber die wirkliche Macht längst in vom Volkswillen entfernt hat. Noch immer gibt es freie Wahlen, freie Presse und Medien, Debatten und Konflikte, doch sie sind von Drahtziehern hinter den Kulissen inszeniert, um von den wirklichen Problemen abzulenken. Auf dieser abstrakten Ebene hört sich das gerade vor dem Hintergrund der derzeitigen Zuwanderungs- und Eurokrise ganz plausibel an, wenn man nur daran denkt, wie jede Woche von den Medien eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird, um von den katastrophalen Zuständen der herrschenden Wirtschafts- und Zuwanderungspolitik abzulenken. Handelt es sich also bei dem vorliegenden Buch über die „Postdemokratie“ um ein wegweisendes Werk, das neue Einsichten in die gesellschaftliche Wirklichkeit ermöglicht? Leider nein, denn Crouchs Begriff der Postdemokratie zielt auf etwas ganz anderes als auf eine Kritik an den herrschen Zuständen. So wie Crouchs Postdemokratie versteht, handelt es sich um nichts weiter als um einen weiteren Aufguss linker Neoliberalismuskritik. Denn bei Crouch sind die Verursacher und Nutznießer der Postdemokratie schnell geoutet: es sind die multinationalen Konzerne, die mit ihrer wirtschaftliche Macht einen Prozess der sogenannten „Entpolitisierung“ vorantreiben, um ihre eigenen Partikularinteressen durchzusetzen. Irgendwie hat man das in den letzten vierzig Jahren schon öfter gelesen – in Oberstufenlehrbüchern, bei der Bundezentrale für Poltische Bildung oder in den Vorträgen von Mainstream-Gelehrten. So erwartbar, so langweilig, auch wenn sich niemand darüber wundern wird, dass unsere Qualitätspresse nach dem Erscheinen des Buches diesen dünnen Wein in uralten Schläuchen als der Weisheit letzten Schluss bejubelt.
Schade, denn der der Begriff der Postdemokratie enthält viel mehr Potenzial, als sein Urheber ahnt. Wir leben tatsächlich einer inszenierten Demokratie, nur dass die die Handlungsträger und Frontstellungen ganz andere sind als Crouch annimmt. Gerade die Akteure, von denen Crouch in merkwürdiger Naivität die Behebung der Postdemokratie erwartet, die Parteien, sind genau jene Kräfte, die sich zu einem Machtkartell zusammengeschlossen haben, um im Verein mit den von ihnen unterwanderten Kirchen, Gewerkschaften und Gerichten mit Hilfe postdemokratischer Politikinszenierungen am Volk vorzubeizuregieren. Die merkwürdige Pointe von Crouchs Werk besteht darin, dass er den ältesten Bock, den linken Politik-Apparatschik, und zum Besten aller Gärtner erklärt. So gesehen ist das vorliegende Buch über die Postdemokratie begrifflich durchaus ein Gewinn, wenn man es gegen den Strich bürstet. In seiner inhaltlichen Füllung aber gleicht es selbst einem jeder pseudointellektuellen Säue, die von ZEIT zur ZEIT durchs Dorf getrieben werden, um die Leser des linken Feuilletons bei der Stange zu halten.
Postdemokratie bedeutet, solche Referenden wie in Großbritannien überhaupt nicht zuzulassen. Oder das nicht genehme Ergebnis als Ausfluss von Dummheit oder Eigensucht herabzusetzen. Insofern ist die Umdeutung des Begriffs „Postdemokratie“, die Adrian Ambrer vorgenommen hat, ducchaus nachvollziehbar. Oder um es am Aktuellen festzumachen: Die EU ist die institutionengewordene Postdemokratie.