Mitunter führen auch die Klappentexte von Büchern in die Irre. Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls bei der Lektüre des vorliegenden Buches von Gunnar Heinsohn über „Söhne und Weltmacht“. Vordergründig wurde dieses Buch berühmt, weil es eine frappierend einleuchtende Erklärung für das Phänomen benennt, das schon Samuel Huntington in seinem „Clash of Civilisation“ als „die blutigen Grenzen des Islam“ bezeichnet. Die Rede ist von den aus westlicher Sicht erschütternden Blutorgien der kämpferischen Selbstopferung, die in Wahrheit nur ein Reflex auf die Überprduktion von Söhnen ist. Mit anderen Worten und etewas allgemeiner gesagt: die Überproduktion von Bevölkerung, vor allem von Söhnen ist ein Bewegungsgesetz der Weltgeschichte und vor allem der Feuergrund von Krieg und Terror. Die Verachtfachtung der gesamtislamischen Weltbevölkerung von 150 auf 1.200 Millionen Menschen innerhalb des letzten Jahrhunderts bei gleichzeitger Rückständigkeit ihrer Muttergesellschaften schafft eine Dynamik, der die demografisch schrumpfenden Gesellschaften des Westens hilflos gegenüberstehen (Heinsohn drückt es so aus: Elern, die nur ein Kind besitzen, sind automatisch pazifistisch).
So weit so interessant. Aber der Essay von Heinsohn beschränkt sich nicht nur darauf, diesen „youth bulge“ („Ausbuchtung“ der Bevölkerungspyramide auf mehr als 20 % bei den 15-24 Jährigen ) allein im Hinblick auf den Islam durchzudeklineren, sondern er belegt ihn an zahlreichen geschichtlichen Beispielen, vor allem an der europäischen Expansion im Zeitalter der Entdeckungen und des Imperialismus. Während um 1500 drei zivilisatorisch ebenbürtige Regionen auf dem Planeten existierten ( Europa, der Islam, China), „explodierte“ nur der europäische Bevökerungsanteil während der islamische und chinesische Kulturkreis demographisch stabil blieben.
„Weltmacht“ im Verständnis des vorliegenden Buches aber „verlangt“ nicht nur eine Bevölkerungsexplosion sondern zweitens auch den Übergang von einer „besitzbasierten“ zu einer „eigentumsbasierten“ Wirtschaftsordngung. Der europäische Kapitalismus hat seit den englischen Einhegungen und der Entstehung der italienischen Bankhäuser in der frühen Neuzeit zu einer eigentumsrechlich relevanten Belastung von Besitz geführt, d.h. Besitz wurde über Verschreibung, Verbriefung, Kreditierung zur Grundlage von „Eigentum“ und damit zur Basis von Geldschöpfung und Investition, m. a. W.: das Eigentum „entspringt“ aus dem Besitz und erlaubt auf dem Hintergund der bürgerlichen Rechtssicherheit (Max Weber lässt grüßen) Innovationen und Investitionen. Der Eigentümer muss aber aus seinen Erträgen notwendig einen „Zins“ bedienen, woraus sich ein immer stringenterer Antrieb zu weiteren Investitionen (und Verschuldungen) ergibt. Die Gleichzeitigkeit von Bevölkerungsexplosion und eigentumsrechtlicher Nutzung weltweiter Besitztitel machte die weltgeschichtliche Bedeutung der europäischen Expansion aus, sie ist es auch, die die europäische Erschließung des Planeten von einem bloßen „Mongolensturm“ unterscheidet.
Aus diesen beiden Prämissen von „youth bulge“ und „Eigentumswirtschaft“ ergeben sich für Heinsohn weitreichende Folgerungen für die Weltpolitik des 21. Jahrhunderts. Der islamische Kulturkreis verfügt zwar über einen gewaltigen youth bulge, ist aber noch weit davon entfernt, seinen Bewohnern durch eine eigetumsrechliche Umformung seiner toten Besitztümer eine lebenswerte Pespektive zu verschaffen, d. h. er ist zu nichts weiter als zum Export entweder von Gewalt oder Unterqualifikation in der Lage. Der chinesische Kulturkreis ist dabei, den eigentumsrechlichen „take-off“ seiner Geselschaften vorzunehmen, seine Bevölkerung aber hat schon das Plateau der Stabilität erreicht. Wie sich der Zusammenstoß dieser strukturell unvollständigen Weltmachtkandidaten etwas in Xinjiang darstellt, gehört zu den packendsten Passagen des Buches (S. 110ff.). Gerade demographisch schrumpfende Regionen schlagen in panischer Selbstverteidigung gegen den youth bulge besonders hart zu, getreu der Logik, die am Beispiel des Kosovokonflitkes beschrieben wird: „Ich kann mich gerade noch gegen eueren Vater wehren, aber ich habe nur einen Sohn, der gegen euch drei Brüder keine Chance haben wird, weshalb ich euch alle umbringe.“(S.30)
Von Europa ist in diesem Zusammenhang nur noch als Krisenregion die Rede, dessen schrumpfende Bevölkerungen dringend einer massenhaften Einwanderung von sog. Hongkong-Chinesen“ bedürfte, die aber in der Realität durch Migrantenmillionen aus dem Vorderen Orient und Afrika aufgefüllt wird, die die Geburtenprämien dankbar abgreifen ohne jedoch wirklich massenhaft in die benötigten Qualifikationsebenen vorstoßen zu können.
„In Bremen entführt am 25. April ein siebzehnjärhiger Libanese einen Linienbus. Er will Gotteskrieger werden. Al-Qaida-Häftlinge freipressen und dann in Israel Juden töten.. Er klagt nicht über Hunger und genießt alle Freiheiten eines deutschen Staatsbürgers. Aber er fühlt sich dem Karrierekampf um die Spitze nicht gewachsen.“(S.157)An diesem Beispiel wird ein weiteres Paradoxon deutlich, das in der öffentlichen Diskussion überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wird. Es sind gerade nicht die Elenden und Beladenen, die im Zuge des youth bulge gewalttätig revoltieren sondern die eher Gebildeten, die Satteren, die sich um die direkte Lebenserhaltung nicht mehr den ganzen Tag kümmern müssen. So schafft die erfolgreiche Bekämfung der absoluten Armut in der Dritten Welt paradoxerweise die Voraussetzung dafür, dass immer mehr junge Männer gewalttätig werden können – denn es geht immer und in erster Linie um die Erringung von Positionen und Perspektiven für Überzählige junge Männer – das Überleben spielt in der Theorie des youth bulge überhaupt keine Rolle, auch die Funktion der Relgion beschränkt sich eher auf die Lieferung von Rechtfertigungen und erscheitn somit abgleitet bzw. sekundär.
Insofern sind die Aussichten für die meisten Staaten der Welt trübe, denn in mehr als der Hälfte der Staaten auf der Welt schlummert ein gigantischer „children bulge“ (d. h. ein Anteil von Kindern unter 15 Jahren von 30 % und mehr an der Gesamtbevölkerung) , der sich zwangläufig in einen youth bulge (definiert als Anteil von 20 % und mehr der 15-24 jährigen an der Gesamtbevölkerung ) und damit in Konflikt und Gewalt entladen wird (siehe Tabelle S. 61-71).
Trübe Aussichten fürwahr – gibt es denn gar keine tröstliche Nachricht in dem vorliegenden Buch? Teils, teils möchte man antworten, denn nach Heinsohns Auffassung befinden wir uns zwar momentan im absoluten Höhepunkt eines plantetarischen (allerdings höchst ungleich verteilten )youth bulge, der Anteil der Jugendlichen geht allerdings (aber auch nur planetarisch unter Einbezug des Westens und der Ostasiaten) bereits langsam zurück – sogar der islamische youth bulge dürfte ab 2025 seinen Höhepunkt überschreiten. Ein schwacher Trost, wie ich meine, denn bis dahin können noch viele Bomben geworfen werden.
Insgesamt ein erhellendes Buch, wie es wenige gibt, eine Pflichtlektüre für alle, die die Gegenwart und die Zukunft nicht nur erleiden sondern auch verstehen wollen. Ein weltpolitischer Sarrazin, über den sich die Empörung der kinderscheuen Gutmenschenelite nur deswegen in Grenzen hielt, weil der Autor weniger bekannt war.