Das nationalsozialistische Deutschland hat sich im Zweiten Weltkrieg derartiger Untaten schuldig gemacht, dass man über alle Verbrechen, die an Deutschen im Vorfeld oder im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg verübt wurden, fast reflexartig den Mantel des wohlwollenden Verständnisses legt. Das vorliegende Buch einer jungen tschechischen Autorin durchbricht dieses Tabu am Beispiel einer Geschichte aus dem Umfeld der Massenvertreibung der sudetendeutschen Bevölkerung aus dem Gebiet des späteren Tschechoslowakei.
„Ein herrlicher Flecken Erde“ erzählt die Geschichte von Gita Lauschmannowa, einer deutschsprachigen Jüdin, deren Familie als tschechoslowakische Staatsangehörige von den Nazis noch am Ende des Zweiten Weltkrieges ermordet wurden. Nur die sechzehnjährige Gita und ihr älterer Bruder Adin leben noch, als die Konzentrationslager befreit wurden. So weit so schrecklich.
Aber als fast noch schrecklicher empfindet die blutjunge Gita nach ihrer Rückkehr aus den deutschen Konzentrationslagern das Verhalten ihrer ehemaligen tschechischen Nachbarn und Bekannten, die wie die Aasgeier sofort nach Kriegsende im Schutz der berüchtigten Benes-Dekrete über die verwaisten Güter der Lauschmannowas hergefallen sind und sie unter sich aufgeteilt haben. Kaum zurückgekehrt, wird Gita von einer Bande aus Pseudo-Partisanen, Zugewanderten und Dorfproletariern, geführt vom ehemaligen Dorfschmied Stolar, gefangengenommen und zusammengeschlagen. Ihr Bruder Adin war bereits von der Stolar-Bande sofort nach seiner Rückkehr ermodert und im Garten des Gutes verscharrt worden. Nur die Mitmenschlichkeit der Stolar-Schwester, die Gita unter Lebensgefahr zur Flucht verhilft, erspart der jungen Deutsch-Jüdin das gleiche Schicksal.
Der ganze erste Teil des Buches, etwa ein Drittel des Romans, beschreibt die Leiden der unglücklichen Gita, aber auch die Schicksale anderer Sudentendeutscher in drastischen Worten. „Anfang Juli wurden Liebischs in ihrer Villa überfallen. Bewaffnete Männer, tschechische Partisanen wohl. Liebischs Sohn schlugen sie mit Gewehrkolben die Zähne aus, er blieb in einer Blutlache liegen, mehr wisse sie nicht. Liebisch habe sie noch gesehen. Bevor man ihn in das entlegene Lager Rabstein verschleppte. Dicht am Kopf des alten Liebischs feuerten sie mehrere Schüsse ab, dann schlugen sie mit einer Stahlstange auf seine Arme. Anschießend traten sie ihn mit Stiefeln, er musste sich so lange mit seinen angeschwollenen Armen vor den Tritten schützen, bis es den Tschechen endlich zu langweilig wurde.“ (S. 77)
Sechzig Jahre später, im Mai 2005, kehrt Gita Lauchmannowa als 76jährige in das Dorf ihrer Kindheit zurück. Sie ist inzwischen mit ihrer ganzen Familie von der demokratischen Regierung Tschechiens voll rehabilitiert worden und hat Anspruch auf Rückgabe ihrer Güter. Obwohl sie die Güter ihrer Familie aber gar nicht zurückhaben will sondern nur die Aufstellung eines Denkmals zu Ehren ihres von den Nazis ermordeten Vaters auf dem Dorfplatz anstrebt, trifft sie sofort auf den geballten Widerstand der Nachkommen der Enteignungsgewinner – allen voran auf den Stolar-Sohn, der nun als Buergermeister den Ort verwaltet. Aber auch Gitas Retterin, die Stolar-Schwester, nunmehr die Tante des Buergermeisters, lebt noch, und sie ist es, die ihrem inzwischen herangewachsenen Sohn Denis die wahre Geschichte der mörderischen Vertreibung von 1945 berichtet. Alte Wunden, Sünden und Begehrlichkeiten, Animositäten und Lügen brechen nun auch unter den Tschechen auf, es kommt zu Verwerfungen, Konflikten und Verhandlungen, die darauf hinauslaufen, dass Gita Lauschmannowa das Denkmal für ihren Vater nicht erhält und über der Abfassung ihrer Erinnerungen verstirbt. Ihre Enkelin setzt den Kampf mit gesteigerter Erbitterung fort, der Ausgang bleibt vollkommen offen.
Wie man sieht, eine packende und tragische Geschichte, wie man sie in den Mainstream-Medien normalerweise nicht zu lesen bekommt. Kaum auszudenken, ein deutscher Autor hätte ein solches Buch verfasst. In Anbetracht der Notwendigkeit eines solchen Buches, wirken seine formalen Mängel fast verzeihlich: die Erzählweise ist unnötig zeitebenenverschachtelt, ohne dass sich daraus ein literarischer Gewinn ergeben wurde, die Sprache ist über weite Passagen nervös und schrill, und die Psychologie der Figuren ist nicht immer überzeugend. Auch der Plot ist ungünstig konstruiert – dass einer deutschsprachigen Jüdin tschechischer Nationalität furchtbares Unrecht widerfahren ist, wird auf der Grundlage der vorliegenden Handlungskonstruktion niemand bestreiten – was aber ist mit denen, die „nur“ Deutsche waren, was ist mit den Hunderttausenden Opfern der Massenvertreibungen, deren Familien einfach nur seit Jahrhunderten in rein deutsch besiedelten Gebieten lebten und die 1945/6 zu Tode kamen? Wären denn die keinen Roman und keine Rehabilitation wert?
Immerhin steht diese Frage unübersehbar auch hinter der Geschichte von Gita Lauschmannova. Das ist in meinen Augen das bleibende Verdienst dieses mutigen Werkes, das die Massenvertreibung der Sudetendeutschen nach 1945 einmal aus einem anderen Fokus kennzeichnet: es war die unheilige Kombination von scheinbar unabweisbarem Racheanspruch, Habgier und abgrundtiefer menschlicher Niedertracht, die die psychologische Grundierung der Massenvertreibungen darstellte. (Eine solche Feststellung hat übrigens rein gar nichts mit einer Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen an allen Völkern Europas zu tun. ) Ein Ruhmesblatt für die junge tschechische Literatur, die ihren Beitrag zur Aufarbeitung der Vergangenheit und damit für eine entgültige Versöhnung bietet. Und eine Schande für alle jene deutschen Ideologen, die immer nur über das Leid der anderen Völker weinen wollen.