In der Terrorgeschichte des zweiten Weltkrieges war den ungarischen Juden ein besonders grausames Finale vorbehalten. Lange Zeit lebten sie unter dem Schutz des autoritären Horthy- Regimes relativ unbehelligt mitten in einem Kontinent, in dem bereits aus allen Richtungen die Todeszüge nach Ausschwitz rollten. Erst mit der Machtergreifung der Deutschen und ihren antisemitischen Pfeilkreutzer-Vasallen 1943/4 schlug das Verhängnis auch über den ungarischen Juden zusammen –innerhalb kürzester Zeit fielen 400.000 Juden Vernichtungsmärchen und Mordaktionen zum Opfer.
Vor diesem Hintergrund erzählt das vorliegende Buch des ungarischen Nobelpreisträgers Imre Kertesz die bizarre Geschichte eines ungarischen Jugendlichen inmitten der nationalsozialistischen Todesmaschinerie. Bizarr ist die Geschichte nicht wegen ihres Inhaltes, sondern wegen ihrer Form – von der ersten bis zur letzten Seite wird die Leidensgeschichte aus der Perspektive eines Heranwachsenden erzählt, der in einer halb staunenden, halb gutwilligen Naivität das Verhängnis, das ihn ereilt, mit seinen normalen Verständniskategorien zu verstehen sucht. Der Übergang von der gutbürgerlichen Existenz im Umkreis der Familie über die Einberufung zum Arbeitsdienst bis zur Verschickung in die Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald vollzieht sich dabei als eine Abfolge von Stufen, die den Jungen immer tiefer in die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie führt. In einer konkret-akribischen Beschreibungssprache, wie sie Jugendlichen oft eigen ist, ordnet der Protagonist die Geschehnisse inmitten des Chaos nach den letzten ihm verbleibenden Resten von Sinnhaftigkeit. Selbst im Angesicht seines sterbenden Körpers bewahrt er sich diese Perspektive der Verwunderung: „Ich konnte nur staunen über die Geschwindigkeit, das entfesselte Tempo, mit dem die deckende Schicht, die Elastizität, das Fleisch von meinen Knochen dahinschwand, schmolz, abfaulte und allmählich ganz verschwand. Täglich wurde ich von etwas Neuem überrascht von einem Makel, einer neuen Scheußlichkeit an diesem immer merkwürdiger, immer fremder werdenden Gegenstand, der einst mein guter Freund: mein Körper, gewesen war.“ (S. 183)
Mit Glück und der Hilfe von Lagergenossen überlebt der Junge die letzten Tage von Buchenwald, und wie es scheint, ist er durchaus in der Lage, dieses Glück im Konzentrationslager, die Stunde vor dem Essen, einen Moment der Ruhe, einen Augenblick der Eintracht mit Lagergenossen auch zu genießen. Für den Mainstream-Leser der gängigen Holcaustliteratur hat dieser Fokus zunächst etwas Schockierendes, In Wahrheit ist er nichts anderes als eine Mischung aus Verantwortungsgefühl und Selbstverteidigung. Verantwortungsgefühl, weil jeder, auch der Protagonist, seine Familie, alle Ungarn, alle Menschen im Zweiten Weltkrieg, für das, was ihnen widerfahren ist, selbst mit verantwortlich waren, denn sie hätten sich auch ganz anders verhalten können. Und wenn es ihnen dann widerfahren ist, wenn man selbst sein Schicksal durchlebt, warum nicht mit einer möglichst distanzierten Haltung durch das Würdelose gehen, damit es einen nicht restlos infiziert und warum sich nicht auch an Nischen des Todes so sehr erfreuen, das man ihm am Ende möglicherweise entgeht?
Ein großartiges Buch, das gegenüber der Mordmaschinerie der Konzentrationslager die Würde des Individuums behauptet. Dass die Behauptung dieser Würde einen so hohen Maßstab definiert, dass ihm die meisten Opfer nicht entsprechen konnten, mindert nicht seinen literarischen Wert.