Am großen Roman der Wende haben sich schon viele versucht, ohne dass bis heute ein wirklich überzeugendes Werk entstanden wäre. Ingo Schulzes Roman „Adam und Evelyne“ scheiterte in grotesker Weise an seiner eigenen Ambition, Uwe Tellkamps „Der Turm“ erschlug durch seine Monumentalität. Für mich bestand der Ertrag der Lektüre dieser und anderer Werke eher in der Erkenntnis, was ein wirklicher Wenderoman leisten sollte: er müsste die Perspektiven beider Seiten deutlich machen, er müsse die Brüche erkennbar und die Brücken sichtbar machen – und all das gut verpackt eine fesselnde und unterhaltsame Geschichte.
Ohne Übertreibung: all das habe ich in dem vorliegenden Buch gefunden. Die Geschichte von Johannes Schönbach, dem verhinderten Altphilologen, der im DDR- Schnapsverladezentrum fast zum Alkoholiker wird, der in einer SED-Zeitung die Redakteure mit seinen altklugen Korrekturvorschlägen nervt und schließlich nach dem Fall der Mauer in der West-Presse Karriere macht, ist eine Harlekinade der allerfeinsten Sorte, witzig, elegant und unterhaltsam – aber auch eine bitterböse Spiegelung nicht nur der Agonien der verknöcherten DDR sondern auch der linken Gutmenschenkultur, die den gerade befreiten Ostdeutschen über die Schädel gestülpt wurde wie eine neue Scheuklappen-Diktatur. Vielleicht dauert es eine Weile, bis man sich nach vierzig, fünfzig Seiten an den Klonovsky-Stil gewöhnt hat, dann aber schlägt einen die Handlung bis zur letzten Seite in ihren Bann. Wie sie ausgeht, welche Zeitung der finale Meisterjournalist am Ende beglückt, welche Frau der Bonsai-Casanova am Ende gewinnt, soll nicht verraten werden. Hingewiesen werden aber darf auf die analytisch herausgearbeiteten Meisterminiaturen, anhand derer Klonovsky die deutsch-deutsch Kuriositäten wiederspiegelt. Herrlich, die Skizze des edlen Alexander Müller-Giordano, der noch vor dem Fall der Mauer bei gutem Wein in seinem französischen Landhaus Leitartikel schrieb, dass Deutschland wegen seiner Auschwitz-Schuld nie mehr vereinigt werden dürfe und damit die sechzehn Millionen Ostdeutschen anwies, in ihrem jammervollen Staatsgefängnis zu verbleiben. Fast makaber das Schicksal des DDR-Journalisten Kühl, der plötzlich unter dem Kuratel der Gutmenschenverlage nicht mehr über die Probleme der Massenzuwanderung schreiben darf. (S.379) „Nun gibt es wieder jede Menge Themen, über die man sich nicht äußern darf, wieder gefährde ich den Weltfrieden und werde mit scheinmoralischen Argumenten erpresst,“ raisoniert Kühl, als seine Geschichtsserie abgesetzt wird, weil sie nicht deutschkritisch genug sei. Immerhin hat Kollege Kühl dann freiwillig gekündigt und wurde nicht herausgeworfen, wie es manch anderem gerade in diesen Tagen schnell ergeht, wenn er an politisch-gesellschaftliche Lebenslügen rührt.
Alles in allem ein erstaunlich unterhaltsames, hellsichtiges und nicht zuletzt humorvolles Werk. Dass er nicht einmal für die Shortlist des deutschen Buchpreises vorgeschlagen wurde, dürfte niemanden, der das Preisgemauschel des deutschen Literaturbetriebes kennt, verwundern.