Dass die Familie des Autors aus Russland stammt, merkt man diesem Roman an, denn die Geschichten, die in dem vorliegenden Buch erzählt werden, folgen keinem chronologischen Prinzip sondern dem System der russischen Puppe. Sie sind nicht nur auf kunstvolle Weise ineinander verschachtelt, sondern eine jede gewinnt ihren Stellenwert erst innerhalb einer anderen, umgreifenden Geschichte.
Zunächst enthält das Buch eine Geschichte des modernen Judentums – beginnend in den zionistischen oder konservativen Kreisen von Odessa, Wilna und Rowno über die Flucht aus Russland, den Holocaust und die Gründung des Staates Israel. Antisemitische Osteuropäer, Nazis, Bolschewiken und arabische Extremisten – schier unendlich scheint die Zahl der Plagen zu sein, mit denen das Volk Israel auf diesem Weg zu kämpfen hat. Vor diesem historischen Hintergrund wird auf einer zweiten Ebene die Familiengeschichte der Klausners und der Mussmanns über drei Generationen entfaltet, ehe sich Ariel Jehuda Klausner und Fanny Mussman, die Eltern des Autors, finden und heiraten und der Roman schließlich drittens in die Biographie des kleinen Amos mündet. Der kleine Amos wächst auf im britischen Mandatsgebiet Palästina, erlebt die Teilung des Landes, die Entstehung des Staates Israel und des ersten Nahostkrieges. Er wird aber nicht nur Bürger eines neuen Staates, sondern auch zum Novizen und Mitglied in einer viel größeren Welt, dem Reich der Literatur. Wie aus dem sensiblen Einzelkind ein Schriftsteller wird, das ist die vierte und intimste Geschichte und zugleich auch Therapie, aus „Liebe und Finsternis“ wieder herauszufinden.
Als wäre all das nicht schon anspruchsvoll genug, springt der Autor nicht nur zwischen diesen vier Ebenen hin und her sondern noch zwischen den Zeiten vor und zurück – gerade war man noch im Kibbuz nach dem ersten Nahostkrieg, dann geht es zurück in die Salons von Odessa, auf der einen Seite wird der polnische Antisemitismus der Dreißiger Jahre beschrieben, auf der nächsten folgen Reflektionen, wie man am besten Stoff für Kurzgeschichten erhält. Die Erzählhaltung folgt keiner anderen Regel als der der frei assoziierenden Erinnerung, und wie diese geht sie vor und zurück, wechselt die Kategorien und die Protagonisten, bis sich schließlich, nach etwa der Hälfte des Buches beim Leser das Gefühl einstellt, man sei der Zeuge eines ganzen Lebens geworden. Plötzlich empfindet der Leser einen Anhauch jenes Staunens, das den kleinen Amos der Jahre 1946 bis 1951 erfüllte, als er in dem noch ungeteilten Jerusalem aufwuchs und schrittweise Vergangenheit und Gegenwart erkundete – er spürt das Entsetzen, das sich in den jüdischen Siedlungen ausbreitete, als sich die arabischen Armeen anschickten den jungen Staat zu vernichten – und er wird Teilhaber des unbändigen Schmerzes, den ihm der Freitod der Mutter schlug.
Es steckt viel Melancholie in dem Roman, gebändigt jedoch durch Humor und Liebe, die der Autor auch dem scheinbar nebensächlichsten Detail zugute kommen lässt. Manche Erzählpassagen wie die Katzenminatur (S. 412f.) und die Spinoza-Matinee mit Ben Gurion ( 631-8) gleichen literarichen Juwelen, die jedes Buch schmücken würden.
Amoz Oz hat also viel zu bieten, aber wahr ist auch, dass er den Leser mit seinem Werk bis an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit fordert. Wenn Eco das Kunstwerk mit einer „trägen Maschine“ vergleicht, die der Mitarbeit des Rezipienten bedarf, um in Schwung zu kommen, so droht der Leser, vor allem auf den ersten zweihundertfünfzig Seiten, immer wieder stecken zu bleiben, weil die epische Spannung, die der Autor mühelos entfaltet, sich durch seine asynchrone Erzähltechnik kaum, dass sie sich aufgebaut hat, schon wieder verflüchtigt. Es ist fast so, als wolle der Autor durch die ambitionierte Form, die er seinem Roman gegeben hat, alle Gelegenheitsschmökerer verscheuchen und nur die wirklichen Leser bei der Stange halten, um sie mit einem ganzen Kosmos von Weisheit, Humor und Liebe zu belohnen.