Zu meinen prägenden literarischen Erfahrungen zählt die Diskussion von Settembrini und Naphta im „Zauberberg“ von Thomas Mann. Wie hier die liberale und die totalitäre Position in ihren Prämissen und Folgerungen stark gemacht und an ihren nicht minder überzeugenden Gegenargumenten abgeschliffen wurden, hat als Weltgespräch in der Literatur meiner Ansicht nach nicht ihresgleichen.
Die Bedarf an einer solch literarisch zugespitzten Gegenüberstellung ist heute dringender denn je, nur dass die Positionen sich geändert haben. Der liberalen westlichen Gesellschaft steht in unversöhnlicher Gegnerschaft der fundamentalistische Islam gegenüber, und keiner kann sagen, wie diese globale Auseinandersetzung enden wird. Deswegen zunächst einmal Hut ab, wenn sich ein relativ junger Autor wie Christoph Peters in dem vorliegenden Buch an dieses Thema mit einem überaus interessant aufgemachten Geschichte heranwagt.
Was ist der Plot? Jochen Sawatzky, ein orientierungsloser Kleinkrimineller mit Hang zu Drogen und utopischer Schwärmerei hat sich, beeinflusst von moslemischen Kommilitonen, am Ende einer existentiellen Lebenskrise zum Islam bekehrt. Als Gotteskrieger in sudanischen Camps ausgebildet, nimmt er im Jahre 1993 an einem Attentatsversuch im ägyptischen Luxor teil, bei dem möglichst viele Touristen ermordet und der Tempel bis auf die Grundmauern vernichtet werden soll. Doch der ägyptische Geheimdienst war wachsam, das Attentat schlägt fehl, Sawatzky wird gefangen genommen und als deutscher Staatsangehöriger nach ägypischen Recht mit der Todesstrafe bedroht.
Hier kommt nun der deutsche Botschafter Claus Cismar ins Spiel, der sich darum bemühen muss, dem geständigen Terroristen die Todesstrafe zu ersparen und seine Überstellung nach Deutschland zu erwirken. Im Aufeinandertreffen von Sawatzky und Cismar werden also religiöser Fundamentalsmus und westlicher Liberalismus miteinander konfrontiert, und man ist gespannt darauf, welche Argumente sich ein moderner Naphta und ein spätliberaler Settembrini um die Ohren hauen werden.
Um es gleich zu sagen: enttäuschend wenige. Denn anstatt dass sich Peters der Mühe unterzieht, die Positionen beider Seiten wirklich in ihren stärksten Formen auch zu entwickeln, kann der Terrorist Sawatzky den liberalen Botschafter Cismar als regelrechten Volltrottel vorführen. Während Sawatzky in durchaus eindringlicher Weise seine Konversion von der verkrachten Existenz zum asketischen Glaubenskrieger darstellt (besonders eindrucksvoll die ersten achtzig Seiten, auf denen der geplante Anschlag samt seiner Vorgeschichte als ein großartiger innerer Monolog beschrieben wird) , während also der islamische Fundamentalismus in breiten Farben als ein Revitalisierungsprogramm zerrütteter Persönlichkeiten daherkommt, plagen den dumm daher plappernden Botschafter Cismar Gastritisanfälle und Ehekümmernisse. Man gewinnt fast den Eindruck, als sei Cismar, wenngleich auf einem höheren Niveau, aktuell genauso kaputt wie der Terrorist vor seiner Islamkonversion, so dass man ihm nur den schleunigen Abschied von seiner windelweichen Liberalität ans Herz legen müsste. Wenn das die Message des Buches sein soll, dann muss man allerdings kritisieren, dass Peters die liberale Position verschenkt, denn gegen die kraftvoll vorgetragene fundamentalistische Weltsicht gibt es durchaus gehaltvolle Gegenargumente aus liberaler Perspektive, die allerdings an keiner stelle des Buches entfaltet werden. Besonders problematisch ist außerdem, dass der deutsche Botschafter in Ägypten als ein so genannter Alt-68er offenbar noch immer an das Zerbild glaubt, das die APO in seiner Jugendzeit von der bundesrepublikanischen Gesellschaft der Sechziger Jahre gezeichnet hat und sich im Vergleich zur Entschiedenheit, mit der Sawatzky seine eigenen Ideale vertritt, fast ein wenig „für den Verrat seiner eigenen Ideale“ (so der Klappentext ) schämt. An dieser Stelle fragt sich natürlich, welche Funktion diese retrospektive Lernunfähigkeit im höheren Dienst für die Aussage des Buches besitzt. Wenn Peters zeigen wollte, dass die egomanische Selbstbezogenheit, die blauäugigen Gutmenschenpostulate und die vollkommene Wertedffusion der 68er vor der Herausforderung jeder entschlossenen Bewegung wie etwa dem religiösen Islamismus kläglich versagen müssen, ist ihm das eindringlich gelungen. Wenn es aber, wie der Klappentext andeutet, dem Autor darum geht, einen alt gewordenen 68er darzustellen, „der die Ideale seiner Jugend verraten hat“, ohne dass die Brüchigkeit dieser Ideale in dem vorliegenden Buchs überhaupt angedeutet werden, dann wird der entscheidende Terrorist Sawatzky geradezu zu einem Vorbild für den magenkranken Botschafter. Dass sich der Autor zwischen diesen beiden Positionen nicht recht entscheiden könnte, ist schade, denn dieser packende Stoff hätte es verdient, mit mehr Tiefe und philosophisch literarischer Tiefe bearbeitet und gestaltet zu werden.