Das vorliegende Buch, erstmalig veröffentlicht im Jahre 1973 und nun in neuer Übersetzung im Antaios Verlag erschienen, ist eine Untergangsphantasie, wie man sie sich befremdlicher im Jahr ihrer Publikation kaum vorstellen konnte. Eine Million Inder aus der Gangesebene kapern am Ende einer trostlosen Hungersnot einhundert baufällige Schiffe und segeln einfach in See – weg von den Orten ihres Elends mit Kurs auf die fetten Fleischtöpfe der unvorstellbar reichen westlichen Welt. Von anormal gutem Wetter behütet segelt die Flotte durch den Indischen Ozean und um das Kap der Guten Hoffnung unbeirrt in Richtung Europa.
Wie aber verhält sich Europa, auf das diese Menschenflut zusteuert? In Frankreich, das in dem vorliegenden Buch als Lackmustest für die europäischen Verhältnisse fungiert, predigen die Priester von den Kanzeln, dass man diese Flüchtlinge aufnehmen müssen, in den Schulen und Kindergärten wird über die Gleichheit der Menschen diskutiert, und in der Presse wird eine hypertrophe Nächstenliebe beschworen. Wettbewerbe, Diskussionen, Workshops, Wohltätigkeitsveranstaltungen werden zugunsten der „Leute vom Ganges“ ins Leben gerufen, und jeder versucht sich als Gutmensch noch eine Spur altruistischer zu gebärden als der Nachbar.
Dann aber ist die Flotte plötzlich da, krachend rammen sich ihre rostigen Kiele in den Küstensand der Cote Azur, ein unglaublicher Totengeruch weht über das Land, als die Leichen über Bord fliegen und achthunderttausend Menschen ihren Fuß auf französischen Boden setzen. Die Gutmenschen aber, die vorher das Näherkommen der Gangesflotte nicht laut genug bejubeln konnten, fliehen nun so schnell sie können nach Norden. Doch es ist umsonst. In allen großen französischen Städten erheben sich gleichzeitig mit der Ankunft der Gangesflotte die Migranten, organisieren sich, plündern, morden und ergreifen ohne sonderliche Gegenwehr die Macht. Armee und Polizei, durch jahrzehntelangen Defaitismus innerlich zersetzt, laufen auseinander, das Abendland bricht zusammen.
Das ist, in kurzen Worten, der Plot des vorliegenden Buches. Es ist die holzschnittartige Vision eines dekadenten, seelisch entkernten Europa, das seine elementaren Instinkte längst vergessen hat und sich dem Menschenstrom aus der Dritten Welt einfach unterwirft.
Wer hier unwillkürlich an die Verhältnisse des Jahres 2015 denkt, in denen sich die Turnhallen der Schulen mit jungen Männern aus Afrika füllen, liegt genau richtig. Dreißig Millionen Zuwanderer aus fremden Kulturkreisen leben inzwischen in allen Ländern Europas – viele in Parallelgesellschaften organisiert und zum Teil voller Verachtung für ihre Gastgeber. Europa, der alte Kontinent der Freiheit und der Menschenrechte, ächzt unter der sozialen, ökonomischen und demographischen Last dieser multikulturellen Verhältnisse, aber wie bei Raspail wird auch heute die Bevölkerung, die mehrheitlich mit dieser Zuwanderung überhaupt nicht einverstanden ist, durch die pausenlose Berieselung mit multikultureller Poesie manipuliert. Abweichende Stimmen, die vor den Folgen dieser ungebremsten Zuwanderung warnen, werden durch rabiate Medienkampagnen stigmatisiert. In Wahrheit sind die Verhältnisse noch viel schlimmer, als sie Raspail vor fast fünfzig Jahren prognostizierte: Hunderttausende überwiegend junge Männer ohne Sprachkenntnisse und Ausbildung sind allein in den letzten beiden Jahren in unser Land illegal eingewandert, ohne dass die Politik angemessen reagiert hätte. Ihnen gegenüber geraten die wirklich schutzbedürftigen Familien aus den Kriegsgebieten des Nahen Ostens hoffnungslos ins Hintertreffen. Wer genau hinsieht, erkennt bereits die Ansatzpunkte für einen Zusammenbruch der staatlichen Souveränität.
Ich habe das „Heerlager der Heiligen“ vor dem Hintergrund dieser epochalen Aufweichung und Veränderung der gesamteuropäischen Identität und dem suizidalen Verhalten seiner Politelite deswegen mit großer Spannung gelesen – und war enttäuscht. Sicher ist es erstaunlich, wie treffsicher Raspail die Gutmenschenindustrie und ihre Instrumente beschreibt, und es ist erschütternd zu lesen, was der französische Autor schon 1973 über die völlige Zersetzung der nationalen Identität am Beispiel Frankreichs ausführt. Aber je weiter ich leas, desto stärker beschlich mich ein Unbehagen; das sich am Ende in Ablehnung verwandelte. Denn das Thema des Buches, inhaltlich ein literarisches Projekt von höchster Dringlichkeit, wird literarisch auf so dürftigem Niveau dargeboten, das es seinem Anliegen einen Bärendienst erweist. Alle Figuren des Buches kommen lediglich als Gedankenträger daher – entweder sind es durchgeknallte, vaterlandslose Linke, die ihre eigene Kultur abgrundtief hassen, oder es sind aus meiner Sichtweise ebenso durchgeknallte Rechte, die am liebsten mit Maschinengewehren auf die Flüchtlinge vom Ganges schießen würden, Es gibt in dem vorliegenden Buch nur schwarz oder weiß, normale Menschen, die sich um die Identität Europas sorgen aber auch gleichzeitig das ihre dazu beitragen möchten, die Not der Dritten Welt zu lindern, tauchen überhaupt nicht auf. Keine einzige Figur dieses sogenannten Romans wird literarisch plausibel herausgearbeitet, keine Gestalt überragt das Fokussierungsniveau eines Wald- und Wiesencomics, und dass der Autor pausenlos in die Handlung hineinschimpft, macht das Lesevergnügen auch nicht genussreicher. Man kann es nicht anders sagen: Raspail scheint der Auffassung zu sein, dass man die eigenen Zeitgenossen von ihrem Brett vor dem Kopf nur dadurch kurieren kann, dass man es ihnen mit einem extrem einfach gestrickten Elaborat einfach kreuz und quer über den Schädel schlägt.
So bleibt am Ende der Lektüre wie so oft ein deprimierender Befund: die demokratische Rechte hat für ihre berechtigten Anliegen noch immer keine Stimme gefunden, die das Problem in seiner Gänze literarisch in angemessener Form aufgreift. Aber ein Trost bleibt auch: denn so wehrlos wie Raspail das niederbrechende Europa sieht, ist nun doch nicht. In vielen unserer Nachbarländer beginnen sich die Menschen gegen die ethnische und kulturelle Veränderung ihrer sozialen Umwelt in Parteien zu organisieren, denen es inzwischen immer häufiger gelingt, auch in die Parlamente einzuziehen. Man möchte nur wünschen, dass diese Abgeordneten dann in den Parlamenten die Interessen ihrer Wähler etwas differenzierter artikulieren, als die abschreckenden Steinzeitkonservativen aus dem vorliegenden Buch.