Schmitter: Frau Sartorius

Schmitter FRau SartoriusManchmal ist Lesen  „wie ein Äsen von Tieren“, „etwas Anspruchsloses“, mit dem man die Zeit totschlägt und bei dem es egal ist, was gerade gelesen wird. So ergeht es der unglücklichen Margarete Sartoris als sie am Beginn der Geschichte von Philipp, ihrer ersten großen Liebe, Knall auf Fall verlassen wird und alle Bücher liest, derer sie habhaft werden kann.  Diese erste Liebeswunde, das weiß Margarete noch an dem Tag, an dem sie ihren Geliebten verliert, wird ein Leben lag in ihr brennen, und aus Verzweiflung darüber flieht sie wie so viele Frauen in die Ehe mit einem „Ersatzmann“, dem biederen Vereinsmeier Ernst, der sein unerwartetes Glück zunächst gar nicht fassen kann. „Ernst konnte ich dirigieren“, sinniert Margarethe eiskalt. „das war für mich leicht zu erkennen, er hatte seine Marotten, aber keine charakterlichen Mängel, und seine Behinderung machte ihn so dankbar.“ An seiner Seite und umsorgt von der grundguten Schwiegermutter versinkt Margarethes  Leben in den Abgründen der Provinzialität, in Skatrunden, ausgiebigem Weingenuss und  Alltäglichkeiten.  Eine Tochter wird geboren, die der Mutter fremd bleibt, der Mann bleibt zuvorkommend, wird jedoch immer dicker und lässt in der Nacht schnarchend seinen Arm aus dem Bett hängen. So wäre es weitergegangen bis  zum Ende aller Tage, wenn da nicht plötzlich  Michael aufgetaucht wäre, eine lokale Kulturgröße, gut aussehend, eloquent, verheiratet –  und das gefährliche Liebesspiel  beginnt von Neuem.  Die noch immer attraktive Mutter in den Vierzigern  hört nun wieder alle Himmelsglocken bimmeln,  nimmt ab, kauft schwarze Unterwäsche und nutzt immer unbekümmerter  jede Gelegenheit mit dem Geliebten  zusammen zu sein.    Eines Nachts steht sie auf und verlässt mit einer Tasche das Haus, um mit nach Venedig durchzubrennen,  Venedig, die Stadt der Träume, soll die Overtüre zu einem neuen Leben mit Michael werden. Doch die Reise endet schon auf dem nächtlichen Parkplatz, denn Michael hat es  sich plötzlich anders überlebt, erscheint nicht am Treffpunkt, und bricht die Beziehung ohne jede Erklärung ab. Dieser Tiefschlag bricht Margarethe das seelische Rückgrad, und obwohl sie rein äußerlich ihre Ehe weiterführt, ist damit ihr Leben endgültig zerstört. Ihr Ehemann, der all seine Liebe so schlecht gelohnt findet, beginnt in ihrer Gegenwart zu rülpsen und zu furzen, die gefoppte Ehefrau nimmt wieder zu und trinkt schließlich so viel, dass der Arzt eingreifen muss. Eine letzte Brisanz gewinnt die Geschichte, als Margarete das Verhältnis ihrer minderjährige Tochter mit einem Zuhälter entdeckt, einer gewissenlosen Karikatur von Philipp und Michael, der nichts weiter im Sinn hat, als seine Begierde an einem minderjährigen Mädchen zu befriedigen. Ihn überfährt Margarete an einer nächtlichen Ampel – natürlich  nicht in erster Linie wegen der gefährdeten Tochter sondern aus  Rache für das Verhalten von  Philipp und Michael. Damit endet dieser grandiose Erstling von Elke Schmitter, dessen stilistische und formale Souveränität geradezu verblüfft. Meisterhaft wie die erzählerischen Passagen des finalen Mordanschlages auf den Freund der Tochter schon so früh in den Text eingestreut werden, dass der Leser zunächst glaubt, die Protagonistin würde Philipp überfahren, bis man denkt, nein, es muss wohl Michael sein, ehe auch diese Geschichte zu Ende ist und der gewissenlose Liebhaber der Tochter seinen stellvertretenden Tod erleidet. Ein sprachlich ungemein sicheres Portrait auch  über die zahllosen Varianten von Margarete und Ernst, Michael und Philipp, die in ihrem Zusammenspiel dem menschlichen Unglück immer neue Nahrung geben. Alles in allem eine Lektüre, die ganz bestimmt keine „Äsung“ ist sondern eine literarische Bereicherung, wie man sie selten erfährt.

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