Im Jahre 1458 kam es in der Stadt Arras zur berühmten „Vauderie d´Arras“, einem blutrünstigen Taumel von Judenverfolgungen, Hexenverbrennungen und wahllosen Hinrichtungen, die erst nach der Intervention des Fürstbischofs von Utrecht beendet wurde. Diese historisch verbürgte Episode aus der blutrünstig-skurrilen Geschichte des späten Mittelalters nutzt Andrzej Szczypiorski als Bühnenbild für die Entfaltung einer spannenden und zeitlosen Parabel totalitärer Herrschaft mit all ihren typischen Zutaten aus Verlogenheit, Herrschsucht, Gleichheit und Fanatismus, wie sie in ihrer Grundstruktur in den unterschiedlichen Epochen der Geschichte nachweisbar ist.
Erzählt wird die Geschichte „Eine Messe für die Stadt Arras“ im Rückblick von dem Geistlichen Jean, der als jugendlicher Freund des Fürstbischofs David von Gent nach Arras kommt, wo den Totentanz der Stadt Arras aus nächster Nähe mit erlebt. Es beginnt damit, dass die Standesunterscheide eingeebnet werden und dass die einfachen und tumben Gemüter im Rat den Einfluss der Aristokratie zurückdrängen, so dass der fanatische Prediger Albert die absolute Macht erringt. Sein Ziel ist die absolute Läuterung der Seelen zugunsten des ewigen Lebens, was er dadurch zu erreichen sucht, dass er seinen Mitbürgern Fegefeuer und Hölle schon im Deisseits bereitet. In diesem durchgeknallten Hochdruckgebiet des religiös-politischen Fanatismus kommen zuerst die Juden unter die Räder. Ihre Häuser am Westtor der Stadt werden angezündet, ihre Gemeindevorsteher auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Dann sind die Vornehmen der Stadt an der Reihe, die sich der allgemeinen Verhexung widersetzen und das Regiment des fanatischen Predigers bekämpfen. Schließlich werden von den Exponenten des Mob, die unter der Regie des Predigers den Stadtrat dominieren, alte Rechnungen beglichen, Raubzüge und Enteignungen oder einfach nur Lustmorde durchgeführt, ehe es am Ende auch den zögerlichen Jean, den Vertrauten des Predigers, trifft. Im Kerker wartet er auf seine Hinrichtung und wird nur durch den Einmarsch des Fürstbischofs von Utrecht, vor dem Tod gerettet. Noch am gleichen Tag, als die Truppen des Fürstbischofs dem Spuk ein Ende bereiten, stirbt der widerliche Prediger an der Wassersucht, am nächsten Tag feiert der Bischof „Eine Messe für die Stadt Arras“, in der alles vergeben und vergesssen wird.
Auch wenn das Ende des Romans in seiner vertrackten Logik nicht jeden überzeugen mag, ist das Buch ein sprachlicher und kompositorischer Genuss. Auf noch nicht einmal zweihundert Seiten treten uns Archetypen entgegen, die man in unterschiedlichsten Gestalten aus der Geschichte kennt. Unkverkennbar erinnert die Gestalt des schrecklichen Predigers Albert an Jan Bockelson oder noch plastischer an Stalin, ebenso deutlich ist der Edelmann de Saxe, der lieber Unrecht leidet, als Unrecht zu tun, Sokrates nachgebildet. Auch die Demokratie kommt schlecht weg, ist sie in ihrer missratenen Variante als Pöbelherrschaft doch nur der Humus, auf dem die Tyrannei erwächst. Am sympathischsten ist noch der völlig korrupte und verweltlichte Fürstbischof, der um seine eigenen und die Schwächen der Menschen weiß und hilft wo er kann, richtet, wo er muss und niemanden verändern will. Nur um den Erzähler Jean muss man sich Sorgen machen, so wie er die Abläufe den Ratsherren von Brügge berichtet, scheint er nur allzu bereit zu sein für die nächste Verhexung.