Yates: Zeiten des Aufruhrs

Yates Zeiten des AufruhrsDer Kultstatus, den das vorliegende Buch seit seiner Erstveröffentlichung im Jahre 1961 innerhalb der gehobenen amerikanischen Literatur besitzt, verdankt sich einer Art literarischer Ersterkundung. Wir befinden in den glücklichen Fünfziger Jahren, als die Straßenkreuzer riesig waren und sich noch niemand Gedanken über zu hohe Spritpreise machen musste. Die Leute wohnten mit ihren Kindern in Häusern ( die sie auch abbezahlen konnten ), hatten Arbeit und genossen den anhebenden Massenwohlstand der modernen Gesellschaft Aber etwas stimmte nicht. Inmitten all der explodierenden Bequemlichkeiten der Moderne entdecken  die Partner mit all ihren Schwächen und Marotten im Käfig der bürgerlichen Kleinfamilie sich plötzlich in einer solchen Genauigkeit, dass sie bald voneinander die Nase voll haben. Man glaubte, einen Schmetterling geheiratet zu haben und muss nun entdecken, dass es eine Raupe ist, die bis zum ende des Lebens neben einem im Bett liegen wird.  Frank Wheeler, die Hauptfigur des Buches und ein aalglatter Bonsaiintellektueller, ist eine taube Nuss auf der Suche nach „seiner Bestimmung“ ohne auch nur den leisesten Schimmer zu haben, was das sein könnte. Dafür nerven ihn seine Familie, seine Nachbarn, sogar seine Geliebten und sein Beruf. Seine Frau April Wheeler ist eine unausgefüllte Hausfrau, deren psychologische Gemütslage zwischen „Ich liebe dich, wenn du lieb bist“  und „Ich würde alles tun, damit Du dich nur entfalten kannst“ hin- und herpendelt. Die beiden leben in der „Revolutionary Road“ auf dem „Revolutionary Hill“, einer Reihensiedlung in der Nähe von NYC und vertändeln ihre Freizeit mit Nachbarn, die die gleichen Probleme, nur noch eine Spur gewöhnlicher durchleiden.  Denn  ganz gleich ob es sich um die Wheeler, die Campbells oder die Givings handelt, alle Beziehungen zwischen den Paaren aber auch zwischen den Eheleuten sind auf eine schreckliche Weise gestelzt, jede Geste ist aufwendig inszeniert, jedes Gespräch eine Gratwanderung zwischen lauter Tretminen des Missverständnis, die bei aller Mühe dann doch immer wieder hochgehen und sich in exzessiven ehelichen Auseinandersetzungen entladen.

Die Handlung, die sich vor diesem Bühnenbild entfaltet und die die Wheelers schließlich in die Katastrophe führt, ist eigentlich nebensächlich. Ein infantiler Plan, den familiären Unzulänglichkeiten durch einen Umzug nach Paris zu entfliehen, wird wegen einer unerwarteten Schwangerschaft Aprils aufgegeben, in Wahrheit hatte Frank schon vorher jeden Wunsch nach einem so unberechenbaren Wechsel der Verhältnisse verloren. Der einzige, der den Wheelers ungeschminkt die Wahrheit dazu sagt, ist John Givings, der schizophrene Sohn der Maklerin, eine Art „Fratze der Wirklichkeit“, der am Ende des Romans in der Irrenanstalt verdämmert, weil ihm keiner mehr zuhören will.

Ich habe dieses meisterhaft geschriebene und durch komponierte Buch an einem Wochenende mit Anteilnahme und Ergriffenheit gelesen.  Blind müsste der Leser sein, der in Frank und April oder in den Nebenfiguren nicht auch sich selbst erkennen würde. Immer aufs Neue wird in dem vorliegenden Buch jene Archetypik des ehelichen Exzesses entfaltet, die fast jeder schon einmal erlebt hat. Sogar die steil abstürzenden Geburtenraten unserer niedergehenden Gesellschaften werden in dem Buch vorhergesagt, denn April Wheeler tötet in der Verzweiflung über ihr eheliches Desaster ihr ungeborenes Kind. Heute geschieht dies übrigens allein in Deutschland alljährlich 115.000 mal.

Was aber ist der Kern des Dilemmas? Wieso gerät die Ehe der Wheelers stellvertretend für fast alle Ehen der Gegenwart in eine solche Sackgasse? Was ist die Bedrohung und der Fluch, die über allen Ehen schwebt?  Auch wenn Yates dies nicht ausdrücklich formuliert und viele Rezensenten anderer Auffassungen vertreten, meine ich: es ist das Unvermögen den Partner in seiner Beschränktheit anzuerkennen und wenn schon nicht dauerhaft zu lieben, so doch zu wenigstens ertragen. Einer der Nebenfiguren, dem alten und schwerhörigen Howard Givings, gelingt dies immerhin – wenngleich auf eine leider nicht verallgemeinerungsfähige Weise. Er stellt einfach das Hörgerät ab, wenn seine Frau das Haus betritt.

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