Piketty: Das Kapital im 21. Jahrhundert

PikettyDie erfolgreichsten Sachbücher müssen nicht immer die besten sein. Man denke nur an Goldhagens „Hitlers willige Vollstrecker“, das wahrscheinlich schlechteste Geschichtsbuch der letzten zwanzig Jahre, das in Deutschland gefeiert wurde, als wäre ein neuer Max Weber erschienen. Der Grund war ganz einfach: dieses sogenannte Sachbuch lieferte Material für die Basisüberzeugung eines bestimmten politischen Lagers.

Ganz so krass ist es bei Pikettys Werk „Das Kapital im 21. Jahrhundert natürlich nicht, wenngleich auffiel, wie enthusiastisch das Werk gerade von jenen Kräften gefeiert wurde, die ein Ausweitung der Staatsquote und eine stärkere Umverteilung von oben nach unten fordern. Die eher kritischen Detailbesprechungen zu Pikettys Rechnungen ( etwa in der FAZ ) wurden nicht weiter beachtet. Stattdessen wurde Pikettys Werk als ein neues „Kapital“ bejubelt, worin  eine gewisse Ironie liegt, den die Grundannahmen des „Kapitals“ von Karl Marx  waren schon 1867 falsch. Macht aber nichts. Fast alle Germanisten, die ich kenne, sind von dem Werk begeistert. Selbst ein von mir hoch geschätzter ehemaliger Leistungskursschüler empfahl mir  die Lektüre dieses Werkes. Danke Fabio, aber dann wollen wir doch mal ein wenig ins Detail gehen.

IMG_0191Piketty postuliert eine dem Kapitalismus inhärente  Zunahme der Ungleichheit, weil der die Vermögensinhaber gegenüber den Einkommensbezieher aus abhängiger Beschäftigung bevorzuge. Diese These ist natürlich nicht neu, wird aber von Piketty mit erheblichem statistischem Aufwand rückwirkend bis in die Mitte des 18. Jhdts dargestellt. Dabei zeigt sich, dass diese Ungleichheit in den letzten dreißig Jahren so enorm zugenommen hat, dass sie mittlerweile den Bestand der Demokratie gefährdet.   Piketty weist das anhand einiger leicht fasslicher  Indikatoren ( r und g ) nach – als da sind:

  • Der Zusammenhang von Wirtschaftswachstum g und Kapitaleinkünften r

g setzt sich dabei, vereinfacht gesagt aus dem BIP Wachstum und dem Wachstum des Kapitalstocks zusammen. Erwirtschaftet  wird g durch das Zusammenwirken der Produktionsfaktoren von Kapital, Arbeitskraft und Rohstoffen. Absorbiert wird g durch Konsum (k) und Sparen (s) Investitionen (i) und Außenhandel (x-m) Verteilt wird g auf die beiden Akteure des Wertschöpfungsprozesses: Kapitaleigner (r) und Arbeitnehmer (a). Um diesen Verteilungsprozess und seine aus dem Ruder laufende  Entwicklung geht es Piketty vor allem.

  • Daraus folgt: Immer wenn r viel stärker steigt als g, vereinfacht gesagt: wenn sich die Kapitaleigner einen überproportionalen Teil am Zuwachs „unter den Nagel reißen“ ist das langfristig schlecht für Demokratie, Gesellschaft, Frieden, Wohlfahrt oder was auch immer. Dabei gilt allerdings
  1. Dass r größer als g ist, ist natürlich der Normalfall der Wirtschaftsgeschichte. r ist fast immer die Prämie für Innovation und Risiko gewesen und wird somit auch mit Recht höher gratifiziert. Diese höhere Gratifikation ist geradezu die Voraussetzung dafür, dass es überhaupt zu Innovationen und Risikoverhalten kommt. Dieser Zusammenhang wird von Piketty natürlich nicht bestritten. Der Staat muss seiner Ansicht nach allerdings dafür Sorge tragen, dass über progressive Einkommenssteuern ein „gerechter“ Ausgleich stattfindet, was immer das sein mag.
  2. Der Sonderfall den Piketty aufgrund seiner wirtschaftsgeschichtlichen und statistischen Untersuchungen mit Recht beklagt, ist der außergewöhnliche Einkommenszuwachs der oberen 1 % der Haushalte in den letzten Jahren: 95 % des Einkommenszuwächse seit 2000 sind den oberen 1% der Haushalte zugeflossen, die damit ihr Einkommen um 270 % gesteigert haben. Dieser Befund ist natürlich „shocking“ und geeignet, den umverteilungseuphorischen Zeitgeist zu empören und deswegen höhere Steuern zu fordern (Bei Piketty eine globale Einkommenssteuer für die oberen 1 % in der ganzen Welt). Piketty führt folgende Gründe für diese Entwicklung an: Allgemeine Steuersenkungen, Schwäche der Gewerkschaften, Automatisierung der Arbeitsprozesse, Verlagerung der Wertschöpfungsprozesse vom Industrie- in den Dienstleistungsbereich, verstärkte Nachfrage nach Hochqualifizierten, Globalisierungstendenzen.

So weit, so richtig, aber auch so unvollständig. Denn die ernstzunehmenden 3-format43Rezensenten des Piketty Werkes jenseits von Twitter und Piketty-Hype haben mit Recht die Frage aufgeworfen, woher denn die enormen Steigerungen bei g kommen, die sich die raffgierigen 1 % unter den Nagel reißen. Denn das eigentliche Wirtschaftswachstum seit 2000 (g) war in den westlichen Ländern keineswegs berauschend, es war eher mau, seit 2008 auf heute gab es weltweit praktisch kaum  Wachstum. Die Antwort: das Geld wurde fast ausschließlich im Finanzbereich verdient. Der Finanzbereich  hat sich vom realen Produktionsgeschehen weitgehend  abgekoppelt. Wie war das möglich? Ganz einfach durch zwei Gründe:

  1. Durch die Bankenderegulierung der Neunziger, die niemand anders als Bill Clinton ins Werk gesetzt hat und die in Europa nachgeahmt wurde und
  2. durch die extreme Geldmengenausweitung der Zentralbanken der USA und Japans, seit 2008 auch der EZB (Selbstverständlich ist die Geldmenge M3 auch in der EU gestiegen, sie hat sich laut EZB Bilanz seit 2008 vervielfacht)

Die Kombination beider Prozesse führte über die  Niedrigzinspolitik der Zentralbanken und  das monströse Derivategeschäft zur Blasenbildung im Vermögenspreisbereich und zum Einfahren gewaltiger Gewinne, die selbstverständlich nur den Befehlshabern in den Kommandozentralen der Finanzbranche und ihren Verbündeten zugutekommen.  Ich glaube, dass wir die 1 % vor allem hier suchen müssen und sicher auch fündig würden. Die Gewinnzuwächse dieser  parasitären Gruppierungen  könnte man meiner Ansicht nach ruhig zu 100 % besteuern, denn diese Gewinne sind nur möglich, weil mittelfristig  dieses System – und damit die Kleinvermögen der übrigen Bevölkerung – zusammen brechen wird (die Europäische Zentralbank und ihr Staatsanleihen-Ankaufprogramm lassen grüßen.)

So bleibt am Ende ein überraschender Befund. Die zunehmende Ungleichverteilung der Einkommen, die Piketty beklagt, ist in erheblichem Maß durch eben jene Geldschwemme der Zentralbanken verursacht, die gerade von den eher linken Kreisen, denen Piketty angehört,  immer gefordert wird.  Aber so genau will das wahrscheinlich niemand wissen. Womit wir wieder am Anfang wären. Die berühmtesten Sachbücher sind nicht immer auch die besten.  Denn was Piketty vorstellt, ist nicht neu, und das was neu ist, ist nicht konsequent auf seine Ursprünge zurückgeführt.

 

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