Michael Lewis hat in dem Buch „The Big Short“ die kriminellen Manipulationen nachgezeichnet, die zu großen Finanzkrise von 2007/08 führten, und ein unterhaltsamer Hollywoodfilm mit Chris Bale, Ryan Gosling und Brad Pitt versucht derzeit, diese Inhalte einem Millionenpublikum zu vermitteln. Grund genug, sich die das Buch noch einmal zur Hand zu nehmen und das, was im Film nur angerissen werden kann, etwas genauer nachzulesen. Aktuell ist dieses Thema, weil sich das Kasino-Verhalten der Banken nicht wirklich geändert hat. Eine neue Blase, gefeuert durch das aberwitzige Staatsanleihenankaufprogramm der EZB, ist bereits im Entstehen.
„The Big Short“ erzählt im Grunde zwei Geschichten, eine allgemeine und eine spezielle. Die allgemeine Geschichte ist die interessantere, die Geschichte von der großen Abzocke, mit der amerikanische Investmentbanker ihr Land und fast die ganze Welt an den Rand des finanziellen Ruins brachten. Ungehindert durch staatliche Regulierungen und inspiriert durch die Politik der Geldmengenausweitung durch die Federal Reserve kamen die Spezialisten der amerikanischen Großbanken Meryll Lynch, Goldmann Sachs, Morgan Stanley Lehman Brothers und Bear Stearns auf die Idee, jedermann, auch dem absolut zahlungsunfähigsten Amerikaner, einen Immobilienkredit aufzuschwatzen. Das Geschäftsmodell der insolventen Kreditnehmer war klar: Sie hofften, dass die Häuserpreise infolge der Geldmengenschwemme weiter steigen und sie bei einem späteren Verkauf ihres kreditfinanzierten Hauses einen schönen Reibach machen würden. Natürlich wussten sie, dass diese Blase einmal platzen würden, weswegen sie vorsorgten und das Risiko einfahch verschoben. Sie wandelten einfach die Hochrisikokredite in sogenannte „hypothekengesicherte Anleihen“ mit hochtrabenden Namen (subprime credits)um und verkauften sie mit kräftigen Provisionsaufschlägen und Gewinnmargen so schnell wie möglich weiter. Erleichtert wurde dieses betrügerische Finanzgebahren durch zweierlei: (1) die Korruptionsanfälligkeit der Ratingagenturen Standard & Poors und Moodys, die diese Schrottpapiere mit einem AAA Rating ausstatten und (2) durch die Dummheit vornehmlich ausländischer Kapitalanleger, die diese Papiere ohne ausreichende Prüfung kauften. Immer wieder werden im Buch die „Dummköpfe“ oder die „Blödmänner“ aus „Düsseldorf“ erwähnt, die besonders scharf auf diese Papiere waren, allerdings waren auch japanische Pensionsfonds und Kleinanleger auf der ganzen Welt mit von der Partie.
Was es dabei im Hinblick auf die Kreditvergabe an mittellose Amerikaner zu lesen gibt, verschlägt einem den Atem. Es wurden sogar Immobilienkredite mit negativer Amortisation vergeben (das heißt, es wurden überhaupt keine Zinsen gezahlt, diese wurden einfach auf die Kreditsumme aufgeschlagen) – Hauptsache, man konnte Anleihen generieren und mit Gewinn verkaufen. 2005 betrug die Summe der Subprime-Kredite schon 625 Milliarden Dollar, von denen 507 Milliarden Dollar in Anleihen umgewandelt und verkauft wurden
Aber das war noch nicht alles, Die anrollende Katastrophe wurde noch einmal verstärkt durch eine weitere Finanzinnovation: die sogenannten Credit Default Swaps, d. h. durch Ausfallversicherungen, die für den Fall abgeschlossen wurden, dass die Subprime-Anleihen notleidend werden würden. Und hier kommt die zweite Geschichte ins Spiel, die das ganze Desaster noch einmal aus der Sichtweise handelnder Personen widerspiegelt. Vor allem zwei Tradern, Steve Eisman und Michale Burry, war aufgefallen, dass die Einzelhypotheken aus denen sich die Anleihepapiere tausendfach zusammensetzten, praktisch wertlos waren oder zu extrem hohen Verlusten führen würden. Von heute aus gesehen, wundert man sich natürlich darüber, dass das zunächst nur so wenigen auffiel. Steve Eismann formuliert in dem vorliegenden Buch dazu eine einfache Erklärung: „Die Triebfeder war nicht nur Gier sondern Dummheit“, was bedeutete, dass die meisten, namentlich die CEOs der großen Banken, gar nicht überblickten, was sich da zusammenbraute. Das betrügerische AAA Ratings der großen Bewertungsagenturen wirkte wie eine Binde vor den Augen.
Michal Burry, der als erfolgreicher Fondsmanager, über beachtliche Geldmittel verfügt, beginnt deswegen gegen diese hypothekengesicherten Subprime-Anleihen zu wetten, d. h. er kauft Ausfallversicherungen deren Konstruktionsprinzip so aufgebaut ist, dass sie erst ins Geld kommen, wenn die Anleihen ausfallen. Bis dahin muss er kräftig Versicherungsgebühren zahlen, die zwischen 0,5 bis 2 % der Versicherungssumme betragen. Weil man ein risikoloses Geschäft wittert steigen die Banken gerne darauf ein, allen voran die AIG, die sich zwei Jahre für Abermilliarden Ausfallversicherungen verkauft und sich zunächst mit den Prämien eine goldene Nase verdient (und sich damit letztendlich ihr Grab gräbt)
Ab 2006, als die meisten Lockzinsangebote auslaufen und die Kreditnehmer unter den variabel ansteigenden Zinsen zusammenbrechen, gehen die weltweit verkauften Anleihen reiseweise pleite. 2007/08 brechen die ersten Bankhäuser zusammen, und der Wert der Ausfallversicherungen, die Murray, Eismann (inzwischen aber auch viele andere ) gekauft haben steigt ins Unermessliche. Aber noch viel unermesslicher ist der gesamtwirtschaftliche Verlust – hundertausende halbfertiger, unverkäuflicher Immobilien stehen im ganzen Land zum Verkauf, hunderte von Milliarden Dollar waren buchstäblich in den Sand gesetzt worden, Wahrscheinlich wäre weltweite Bankensystem zusammengebrochen, hätte die amerikanische Regierung nicht in einem bis dahin unvorstellbaren Ausmaß eingegriffen. Die großen Wallstreethäuser, AIG, Fanny Mae und fast alle anderen, die das große Rad gedreht hatten, werden mit über 1000 Milliarden US Dollar auf Kosten des Steuerzahlers gerettet. Die US Federal Reserve warf die Notenpresse an, und die Verschuldung Amerikas erreichte ungeahnte Höhen. (Das wird die nächste, die letzte und finale Krise werden)
Was ist die Moral von der Geschicht´? Die große Krise hat die Anfälligkeit des Marktes für zwei große Übel – für Gier und Gewissenlosigkeit auf der einen und für die Dummheit auf der anderen Seite – zweifelsfrei erwiesen. In dieser Allgemeinheit hört sich das banal an, doch angereichert mit den Fakten des vorliegenden Buches gewinnt dieser Befund eine erschütternde Plausibilität. Auf der Strecke geblieben ist das „Vertrauen“, das diffuse Grundkapital aller Gesellschaften – wie vollständig und total, das hat der amerikanische Autor George Packer in seiner Bestandaufnahme „Die Abwicklung“ in schmerzhafter Klarheit herausgearbeitet.