Aust: Der Baader Meinhoff Komplex

Aust Baader MeinhoffStefan Aust war Redakteur bei Konkret, Mitarbeiter von Ulrike Meinhof und in den ersten Jahren des RAF Terrors auf einigen der Nebenschauplätze selbst präsent Nach dem Ende des Deutschen Herbstes im Jahre 1977 hat er seine Zeitzeugenschaft durch umfangreiche Recherchen ergänzt, um die erste und die bis heute auch maßgebliche Geschichte der Baader -Meinhof-Gruppe zu schreiben. Vierzig Jahre nach dem Tod Benno Ohnesorgs in Berlin und dreißig Jahre nach den Selbstmorden von Stammheim lohnt es sich, dieses Buch noch einmal zur Hand zu nehmen, nicht zuletzt deswegen, weil sich derzeit die Mörder der zweiten RAF-Generation anschicken, entweder begnadigt oder nach der Verbüßung der Mindeshaftstrafen auf freien Fuß gesetzt zu werden.
Mit der gewalttätigen Befreiung von Andreas Baader im Mai 1970 durch Enslin und Meinhof und andere beginnt die Geschichte der RAF in Deutschland, eine Geschichte, die siebeneinhalb Jahre später mit den Selbstmorden von Stammheim enden sollte. Es ist eine Geschichte, die im Wesentlichen um die Gestalten von Andreas Baader, Gudrun Enslin und Ulrike Meinhof kreist, drei Protagonisten des linken Terrors, wie man sie sich unterschiedlicher kaum vorstellen kann. Andras Baader, geboren 1943, wird von Stefan Aust als ein egomanischer und verzogner Kleinkrimineller von allerdings beachtlicher Ausstrahlung vorgestellt, dem die Randale der APO-Zeit offenbar gerade recht kam, seinen psychopathischen Tendenzen auszuleben. Seine Partnerin Gudrun Enslin (geb. 1940) dagegen fungierte als gefühlloser und eiskalter Todesengel, die die Brutalität Baaders intellektuelle überhöhte. Für Aust ist es bezeichnend, dass sowohl Baader wie Enslin das Schicksal ihrer eigenen Kinder, die in vorübergehenden Beziehungen geboren worden waren, völlig gleichgültig war. Die Journalistin Ulrike Meinhof (geb. 1933) erscheint in dem Buch als ein Hätschelkind des linken Journalismus, eine allseits geachtete und in Wahrheit von der Stasi mitfinanzierte Friedenskämpferin gegen Wiederbewaffnung und Atomare Aufrüstung, deren geistiges Format man von heute aus betrachtet daran erkennen kann, dass sie Franz Joseph Strauss allen Ernstes mit Adolf Hitler verglich. Diese drei, zu denen sich zeitweise noch Horst Mahler, Holger Meins und Jan Carl Raspe gesellte, waren der Kern der ersten Generation der RAF, die nach dem Vorbild der südamerikanischen Stadtguerilla das „kryptofaschistische“ System der BRD aus den Angeln heben wollten. Dazu wurden Banken überfallen, Sprengstoffanschläge ausgeübt und wenn es sein musste, auch Menschen abgeknallt – all das inmitten eines beschämend breiten Sympathisantenumfeldes, zu denen wildfremde Menschen, Künstler, Liedermacher (Der Herr Senator erzählt ), Professoren und zeitweise auch ein Nobelpreisträger gehörte ( Die verlorene Ehre der Katharina Blum ).
Als im Jahre 1972 der harte Kern der Baader-Meinhof Bande mit allen ihren Spitzenleuten den Verfolgungsorganen ins Netz ging, begann der Terror aber erst richtig. Eine zweite Generation der RAF, rekrutiert durch das Sozialistische Patientenkollektiv in Heidelberg, die „Roten Hilfen“, die „Komitees gegen Isolationsfolter“ und das Büro des Terroristenanwaltes Croissant, beginnt ihren Terror – geleitet durch das alleinige Ziel, „die Gefangenen“ wieder freizupressen. Doch obwohl durch Kassiberschmuggel der Anwälte die Baader-Gruppe aus den Gefängnissen heraus diese Aktionen mitplanen, bleibt wirklicher Erfolg auch der zweiten Generation versagt. Während von Drenckmann ermordet und der Berliner Abgeordnete Lorenz entführt wird, während die deutsche Botschaft in Stockholm brennt und Buback und Ponto ermordet werden, beginnt trotzdem im Hochsicherheitstrakt von Stammheim der Prozess gegen Baader, Meinhof, Enslin und Raspe, ein enervierendes Ereignis, in dessen Verlauf die Strafprozessordnung geändert werden muss, um den völligen Ruin der Rechtsstaatlichkeit zu vermeiden. In der akribischen Aufzeichnung jedes noch so hahnebüchernen Unsinns, den die Baader-Gruppe vor Gericht verzapft (S. 300-370), liegt vielleicht die einzige Länge des ansonsten spannend und anschaulich geschriebenen Buches. Als sich die sich immer labiler gebärdende Ulrike Meinhof schließlich im Mai 1976 selbst umbringt, deutet sich das Ende bereits an Hans Martin Schleyer und eine ganze Lufthansamaschine werden im September/Oktober 1977 entführt, und als auch diese Szenarien den Staat nicht zum nachgeben veranlassen, begehen Baader, Enslin und Raspe in Stammheim kollektiven Selbstmord – dies aber in einer Weise, die den Verdacht bewusst auf die Staatsorgane lenken sollte.
Damit endet ein Drama, das die Republik veränderte. Aber wird das vorliegende Buch diesem Drama auch gerecht? Alles in allem ja, auch wenn die Sprache des Buches keinen Poesiepreis gewinnen wird. Auch die Strukturierung des Werkes läßt Wünsche offen, um nicht zu sagen: enttäuscht, denn warum hat man gerade bei dieser Gesamtzusammenfassung an einem ordentlichen Inhaltsverzeichnis und Registern gespart? Außerdem sind zahlreiche Psychogramme, Verweise und Namen über das ganze Werk verstreut, so dass man bei der Lektüre gelegentlich etwas ins Schwimmen kommt und, was Namen und Chronologien betrifft, gelegentlich im Netz nachrecherchieren muss ( gut als Ergänzung : Wikipedia: RAF) So erschließen sich die zahlreichen, zum Teil schockierenden Details nur dem Leser, der das ganze Buch von der ersten bis zur letzten Seite durchackert. Die Idee der Gruppe, die störenden Meinhoff-Kinder Regina und Bettina einfach in ein palästinensisches Waisehaus abzuschieben, erschreckt noch heute – gottlob wurde dieser Plan durch eine von Stefan Aust selbst mit initiierte Befreiung der Kinder vereitelt (S. 116ff.) . Wer noch immer an die Mär von der „Isolationsfolter“ glaubt, der lese die Seiten 279 und 308, wer etwas über die mörderische Feme-Mentalität der Gruppe erfahren will, dem wird die Geschichte von der geplanten Ermordung des vollkommen unschuldigen Künstlern Homann im PLO-Terrorcamp ( S. 108ff.) ebenso die Augen öffnen wie eine Nachzeichnung des menschenverachtenden Jargons der Häftlinge untereinander.

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