Es wäre falsch zu sagen, dass die Morde und Banküberfälle der NSU die Republik von 1999 bis 2011 in Atem gehalten hätten. Jahrelang wurde zwischen den rästselhaften Morden an neun Migranten, einer Polizistin und einer Serie von Banküberfällen überhaupt kein Zusammenhang gesehen. Erst ganz am Ende und dann völlig überraschend schälte sich der Umriss eines mörderischen Trios heraus, das jahrelang im Untergrund sein Unwesen getrieben und zehn unschuldige Menschen ermordet hatte. Dann aber kochte die Diskussion plötzlich hoch. Man tat so, als enthülle die Mordserie der NSU nicht nur die Abgründigkeit einzelner Psychoathen sondern die bislang verborgene Tiefenstruktur einer kryptofaschistischen BRD. Längst hat die Mordserie des NSU im tagtäglich upgedateten Negativranking deutscher Bestialitäten nach den Verbrechen des Dritten Reiches bereits den zweiten Rang erklommen. Ist das gerechtfertigt? Oder übertrieben? Und was war da eigentlich los?
Stefan Aust und Dirk Laab versuchen in dem vorliegenden Buch diese Fragen zu beantworten. Sie tun dies auf dem Hintergrund wahrhaft enzyklopädischer Recherchen nicht nur über die NSU sondern über die rechtsradikale Szene im Allgemeinen, deren Entstehung bis weit in die Siebziger Jahre zurückverfolgt wird. Das ist am Anfang packend, später etwas ermüdend zu lesen, was nicht an den Autoren sondern am Gegenstand des Buches Liegt: Über Hunderte von Seiten von so viel Dummheit, Hass und Rassismus zu lesen, schlägt selbst dem härtesten Leser auf das Gemüt. Aber zur Sache: Der Thüringer Heimatschutz und der NSU entstanden als einer von vielen Irrläufern einer europaweit verzweigten rechtsradikalen Szene, die bis nach Großbritannien und die USA reichte. Im Rahmen dieser Szene waren Uwe Mundlos (geb.1973), Uwe Böhnhardt (geb. 1978) und Beate Zschäpe (geboren 1975) eigentlich zunächst nur kleine Lichter. Sei wuchsen auf in einem verwahrlosten, kriminellen Milieu, in dem Gewalt gegen andere (aus welchen Gründen auch immer) zum normalen Umgangsstil gehörten. Innerhalb eines intakten rechtsradikalen Umfeldes, das sich nach dem Untergang der DDR insbesondere um die Rechtsrock-Musikszene gruppiert hatte, entwickelten das Trio und seine Helfer eine völkisch-rassistische Weltanschauung, nach der der Kampf gegen politische „Vaterlandsverräter“ und Migranten die Pflicht jedes Patrioten sei. Dieser Rechtsradikalismus mit Versatzstücken aus dem Ku-Klux-Klan, dem Wotanskult und nationalsozialistischer Nostalgie und ähnlichem Unsinn wird in dem Buch breit nachgezeichnet, ebenso wie die Anfänge des Trios, die über Schlägereien, Körperverletzungen bis zum Bau der ersten Bombe im Jahre 1998 führte. Nach dem Bau ihrer ersten Bombe geht das Trio in den Untergrund, wo sie komplett aus dem Visier der Verfassungsschützer verschwinden und von wo aus sie in den nächsten Jahren ihre Mordserie in Angriff nehmen. Zwischen 1999 und 2007 werden acht türkische und ein griechischer Migrant und eine Polizistin ermordet, außerdem werden zahlreiche Banken überfallen. Lange Zeit tappen die Behörden vollständig im Dunkeln und erkennen zwischen diesen Taten keinen Zusammenhang. Erst durch den Gebrauch immer der gleichen Mordwaffe ahnen die Fahnder die Zusammenhänge, ohne dem Trio wirklich näher zu kommen. Die dabei von den Autoren akribisch nachgezeichnete Unfähigkeit der verschiedenen Behörden ist schier atemberaubend. Dabei erstaunen nicht nur die Reibungsverluste durch das gleichzeitige Agieren unterschiedlichster Behörden sondern auch immer neue Beispiele von Unfähigkeit und Versagen. Vor allem der Versuch der Verfassungsschutzämter, die rechtsradikale Szene mit V-Männern zu unterwandern, geht komplett nach hinten los. Denn die V Männer bleiben ihren Überzeugungen treu, nehmen das Geld des Staates und reichen es mitunter weiter, um den Kauf von Waffen und gefälschten Pässen zu finanzieren. Im Fall des rechtsradikalen Aktivisten Tino Brandt, der im Laufe seiner Spitzeltätigkeit an die 200.000 Euro erhielt, gewinnt man den Eindruck, nicht die Führungspersonen in den Behörden hätten die V Leute geführt sondern die V Leute hätten die Behörden beliebig manipuliert. Ganz übel kann einem werden, wenn man sich fragt, wie solche Apparate dem voll entwickelten Linksradikalismus und Islamismus beikommen sollten. Niemand, der die Recherchen von Aust und Laab gelesen hat, wird sich über das spätere Behördensagen im Falle Amri und Konsorten noch wundern.
m Jahre 2007 stoppte plötzlich die Mordserien des NSU. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe ziehen unter falschen Namen in Zwickau in eine geräumige Wohnung und beginnen eine pseudobürgerliche Existenz. Bis aus ungeklärten Gründen im Jahre 2011 die Serie der Banküberfälle wieder einsetzt und Mundlos und Böhnhard bei einem dieser Überfälle erkannt und eingekreist werden. Ehe sie verhaftet werden können, begehen sie in ihrem Wohnwagen im November 2011 Selbstmord. Kurz darauf verbrennt Beate Zschäpe die gemeinsame Wohnung. Mit ihrer Gefangennahme,. Der Sicherung der Tatwaffe und eines eindeutigen Bekennervideos ist die Geschichte des NSU vorläufig zu Ende.
Soweit in Kürze die Geschichte des NSU, die ich mit großem Interesse gelesen habe. Allerding will ich nicht verhehlen, dass ich schon im ersten Drittel des Buches Papier und Bleistift zur Hand nehmen musste, um den Überblick nicht zu verlieren. Diese Anmerkung kann durchaus als Kritik verstanden werden, denn bei aller Detailfülle und Anschaulichkeit weist das Buch erhebliche Gestaltungsmängel auf. Außer einer groben Chronologie besitzt es keinerlei Gliederung, keine Zwischenbetrachtungen lassen den Leser zu Atem kommen, kein Resümee rundet das Buch ab. Ein kaum überschaubares Recherche-Füllhorn mit Namen und Fakten wird über dem Leser ausgeschüttet, ohne dass strukturierende Momente aufgezeigt würden, die ihm eine Ordnung des Stoffes erleichtern würden.
Der größte Mangel des Buches besteht aber im Fehlen einer zeitgeschichtlichen Einordnung, was umso mehr verwundert, da Stefan Aust auch der Autor des Standardwerks über die linksterroristische RAF ist. Das ganze Phänomen NSU schreit geradezu nach einem Vergleich mit der RAF, der interessante Ähnlichkeiten und Unterschiede zutage fördern würde. Ähnlich war beiden Terrororganisationen der Fanatismus ihrer Protagonisten, eine völlig abgedrehte Ideologie (anarchistisch-internationalistisch die RAF, rassistisch-völkisch die NSU) und die menschenverachtende Bedenkenlosigkeit, mit der unschuldige Menschen ermordet wurden. Aber noch aufschlussreicher sind die Unterschiede: Die RAF bewegte sich in einem breiten linken Sympathisantenumfeld, das bis in Funk- und Pressehäuser reichte. Ihre Aktivisten kamen aus bürgerlichen Haushalten, ihre Verlautbarungen wurden ernsthaft diskutiert, weltbekannte Philosophen wie Jean Paul Sartre ließen sich ebenso wie Teile der linksradikalen Jugend vor ihren Karren spannen. Jahrerlang hielten die RAF und ihre Nachfolgeorganisationen die Republik in Atem und ermordeten Angehörige der Eliten und der Sicherheitskräfte. Die NSU dagegen bestand aus einer Gruppe verwahrloster Asozialer, die sich in einem recht klar umrissenen marginalisierten Unterschichtenumfeld bewegte, aus dessen Deckung heraus sie ihre Taten begingen. Auch wenn das Buch zeigt, dass die rechtsradikale Szene größer ist als man denkt, wird man sie doch nicht allen Ernstes mit dem großen linken Kulturstrom vergleichen können, als deren radikale Schaumkrone die RAF fungierte. Kein Wunder, dass die RAF inzwischen Geschichte ist. So sehr die Erinnerung an rechtsradikale Morde (mit Recht) wachgehalten wird, die Erinnerung an die Schandtaten der RAF versinkt in wohltätiges Vergessen. Längst sind ihre Aktionen historisiert, sogar Mörder wie Christian Klar oder Brigitte Mohnhaupt sind wieder in Freiheit, verurteilte Unterstützer wie Christian Ströbele sitzen sogar im Bundestag. Für diese Kräfte und die ihnen nahestehenden Lager waren die Schandtaten der NSU ein gefundenes Fressen. Alle Unterstellungen von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und latentem Faschismus, mit denen tonangebende Linke die deutsche Bevölkerung seit Jahrzehnten überzieht, schienen nach der Aufdeckung der NSU Morde plötzlich ihre Berechtigung zu erweisen (auch wenn es keine vergleichbare Sympathisantenszene wie bei der RAF gab) . Ein ganzer Medienapparat ist seitdem damit beschäftigt, die staatlichen Versäumnisse und eine unterstellte klammheimliche Sympathie großer Bevölkerungsteile mit dem Rassismus des NSU dem Publikum einzubleuen. Im Rückblick wird die Bedeutung des NSU wahrscheinlich darin bestehen, den letzten Wachstumsimpuls zum Aufbau der linken Meinungshegemonie in der deutschen Öffentlichkeit geliefert zu haben. Die Aktivisten des NSU sind also alles in allem doppelte Idioten: einmal wegen ihrer völlig indiskutablen mörderischen Weltanschauung, zum anderen aber auch, weil sie durch ihre Missetaten die Meinungsdominanz des linken Lagers erst richtig etablierten