Baberowski: Räume der Gewalt

Zum ersten Mal in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte ist ein Bundestagsabgeordneter von seinen politischen Gegnern auf der Straße überfallen und brutal zusammengeschlagen worden (Frank Magnitz von der AfD). Das ist schlimm, aber fast noch schlimmer sind die scheinheiligen bis hämischen Kommentare der Linken, die ihre klammheimliche Freude kaum verbergen können. Der Mescalero lässt grüßen.

Kein Zweifel: die Gewalt hat Einzug gehalten in die politische Auseinadersetzung der Bundesrepublik, eine beunruhigende Entwicklung, die alles verändern wird. Grund genug, sich mit dem vorliegenden Buch zu beschäftigen, in dem der Historiker Jörg Baberowski sich an einer Theorie und Geschichte der Gewalt versucht. Seine Materialgrundlagen sind die Befunde der Sozialpsychologie, der Geschichte und der vergleichenden Kulturanthropologie, seine Darstellung verfährt rein beschreibend, auch wenn seine Schlussfolgerungen alles andere als beruhigend sind.

Baberowski These lautet:  Gewalt ist  alles andere als etwas Außergewöhnliches. Sie ist eine allgegenwärtige Potenzialität, die sich sofort aktualisiert, wenn  Menschen in Krisen geraten. Dann verwandeln sich die Lebenswelten dieser Menschen unvermittelt und vollständig  in „Räume der Gewalt“, in der jeder Mensch zum Wolf des anderen wird. Die friedvollen Verhaltensstandards, die etwa nach Norbert Elias dem modernen Menschen über einen jahrhundertelangen „Prozess der Zivilisation“ wie eine zweite Haut andressiert worden sein sollen, kann man in der Stunde der  Gewalt sofort vergessen. Der Raum der Gewalt ist der Naturzustand, und der Gewalttätige, der in diesem Raum agiert, verwandelt sich von einem Dr. Jekyll in einen Mister Hyde.

Die zahlreichen Belege und Bezüge, die Baberowski zur Begründung seiner These aus allen Bereichen der Humanwissenschaften heranzieht, machen das Studium seines Buches zu einer teils faszinierenden, teils erschreckenden Lektüre. Ein Blick auf die  imperialistischen Kolonialkriege des 19 Jhts. zeigt zum Beispiel, dass Gewaltexzesse, die für den normalen Europäer zuhause undenkbar wären, im Kontakt mit sogenannten „Wilden“ an der Peripherie des Planeten  bedenkenlos  ausgeübt wurden.  Welch eine Dialektik mag man an dieser Sfelle denken, dass nun die  Gewalt von der Peripherie nach Eruopa zurückgekehrt ist. Doch dazu später.

Nichts ist verführerischer als die Möglichkeit, straflos Gewalt anzuwenden, schreibt Baberowski, was seinem Thema allerdings eine neue Dimension hinzufügt:  nämlich den  Menschen, der freiwillig „Räume der Gewalt“ aufsucht, um Opfer zu finden.  Dem neuzeitlichen Staat kommt in diesem Kontext eine ambivalente Funktion zu. Zunächst ist er es, der im Zuge seiner Entstehung die innergesellschaftlichen Gewaltpotenziale aufsaugt und domestiziert  – aber auch nur, um dann schlechtestenfalls seinerseits die in ihm gebunkerte Gewalt kollektiv zu entgrenzen, indem er   Millionen Menschen in Gulags und KZs vernichtet.

Ganz gleich, in welchem Kontext Gewalt geschieht, die  Gewalterfahrung ist traumatisch und persönlichkeitsverändernd in einem. Menschen, die einmal Gewalt erfahren haben, sind nie mehr die Gleichen wie vorher,  schreibt Baberowski und fügt warnend hinzu, dass sich niemand, der wie wir in paradiesischer Friedfertigkeit aufgewachsen sind, sich vorstellen könne, wie gewalttätige Gesellschaften funktionieren.

Das sind beunruhigende Ergebnisse nicht zuletzt für die interkulturellen Begegnungen, die politisch gewollt seit 2015 in bisher unbekanntem Ausmaß stattfinden. Folgt man Baberwoskis Perspektive ist es noch nicht einmal verwunderlich, dass sich junge Männer, die in gewalttätigen Gesellschaften aufgewachsen und sozialisiert worden sind, in den pazifizierten Gesellschaften Europas schnell in Wölfe verwandeln. Hier begegnen sich dann zwei Welten, die sich gar nicht vorstellen können, wie die andere Seite funktioniert. Der friedfertige Gutmensch unserer Tage, der die Ankunft Hunderttausender Afghanen, Syrern, Irakern und Somalier beklatscht,  hat die Gewalt gleichsam „vergessen“ (ebenso übrigens wie den Begriff des „Fremden“) und stirbt vollkommen überrascht durch den Messerangriff eines Zugewanderten. Für Afghanen, die mit ihren Messern aufwuchsen, gehört der Gebrauch der Waffe dagegen zu seinem normalen Verhaltensprogramm. Seine Gewaltbereitschaft ist eine völlig andere als etwa die eines sogenannten Bio-Deutschen, auch bei der Gewaltausübung folgt er viel elastischeren Grenzen wie etwa das Treten auf bereits am Boden liegende Opfer zeigt. Darf man das verurteilen oder soll man es als kulturelle Folklore strafmindernd in Ansatz bringen? Nicht zuletzt aus dieser gegenseitigen und miteinander korrespondierenden Unkenntnis speist sich eine der  Blutspuren der gegenwärtigen Massenmigration.

Ein anderer, nicht minder bedrückender Befund kommt hinzu. Innerhalb der letzten Jahre hat die Gewöhnung an punktuelle politische Gewaltanwendung  beunruhigend zugenommen.   So zeigte eine INSA Studie zur Bejahung von Gewalt gegen Andersdenkende vom Januar 2018, dass etwa 10 % der SPD Anhänger die Anwendung von Gewalt gegen die AfD gutheißen, bei Studenten sind es  15 % und bei Migranten fast 20 %. Ohne Anhänger der AfD zu sein, muss man es bedenklich finden, dass unter den Etiketten von Friede, Herz und Toleranz guten Gewissens eine Gewalttätigkeit  „kultiviert“ wird, die einmal kollektiv ins Rollen gekommen, ihre Protagonisten – Täter, Opfer wie Unbeteiligte – in den Abgrund des Naturzustandes reißen könnte. Insofern ist Baberwoski Studie, ganz unabhängig vom politischen Standpunkt,  wie ein Warnhinweis zu lesen, eine Warnung an Linke und Rechte vor dem Naturzustand, der einmal ausgebrochen, alles verändert.

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