Barnes: Der Lärn der Zeit

Mitunter ist es auch von Belang, wie man einen Schriftsteller kennenlernt. Ich war vor Jahren in Indonesien unterwegs und hatte alle Bücher ausgelesen. Am Ende quälte ich mich noch einmal durch Joseph Conrads „Allmayr Wahn“. Was für eine Tortur. Da stieß ich in einer literarischen  Krabbelkiste in einem Gasthaus am  Tobasee auf der Insel Sumatra auf das Buch „Eine Geschichte der Welt in 10 ½ Kapiteln“ von Julien Bams. Was für einen Labsal für mein dürstendes Lesergemüt.

Seitdem bin ich Julian Barnes verfallen und wurde noch nie enttäuscht. Das vorliegende Buch „Der Lärm der Zeit“ ist mir trotzdem wieder nur zufällig in die Hände gefallen und zwar als Hörbuch aus  dem Argon verlag in der ausgezeichneten Lesung von Frank Arnold. Es erzählt das Leben des russischen Komponisten Dimitri Schostakowitsch in der unnachahmlichen Barnes-Manier, d.h. unprätentiös, aber treffend in der Sprache und analytisch in der Sache. Der Leser folgt dem Ich-Erzähler (Schostakowitsch) durch die verschiedenen Stationen seines Lebens, seiner Kindheit, seinem frühen Ruhm, seiner Todesangst  im totalitären Stalinismus und seinen verschiedenen Rolle innerhalb der Welt der Musik. Die fiktive Ich-Erzählung zeigt einen genialen Musiker unter der  Knute des Terrors, einen Geknechteten, der im Interesse seines Überlebens  vorgefertigte öffentliche Schmäh-Briefe gegen Strawinsky unterzeichnen muss, obwohl er ihn für den größten Musiker der Welt hält. Alle zehn Jahre erhält er den Stalin Preis für Wohlverhalten und auch unter der Herrschaft von Chruschtschow  wird die Gängelung kaum weniger. Zahlreich sind die Lakaien am Wegesrand, die Speichellecker und Anpasser, die ihren Nächsten denunzieren, um noch ein Jahr länger mit seiner Herrschaft des großen Despoten zu leben. Das Buch kam mir vor wie eine literarische Gestaltung der Thesen, die  Hannah Ahrend in ihrem Buch „Ursprünge und Elemente totaler Herrschaft“ entwickelt hat. Es evoziert jene merkwürdige Kombination, die nur die ganz großen Bücher bewerkstelligen: Belehrung, Erschütterung, Anteilnahme – und Kurzweiligkeit

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