Zu den makabren Komödien des Lebens zählt das Miteinander eines gebildeten und verliebten Mannes mit einer sehr hübschen aber intellektuell durchschnittlichen und bösartigen Frau. Komödiantisch ist diese Beziehung, weil der Mann die künstlich aufgeblasenen Marotten seines stupiden Weibes, die kleinen erbärmlichen Schliche sofort durchschaut und sie in all ihrer Lächerlichkeit auf der Bühne seiner eigenen Reflexionsfähigkeit seziert. Makaber ist die Beziehung, weil der Mann den psychologischen Müll, mit dem ihn seine Frau tagtäglich konfrontiert, scheinbar ernst nehmen muss, denn er liebt diese Frau abgöttisch, giert nach ihrem Lachen, ihrer Freundlichkeit und vor allem nach ihrem Leib. Sie dagegen entdeckt, dass ihr die Rundungen ihres Hinterns alle Macht über ihren Mann zugeteilt haben und dass er sich vor der plebejischen Glorie ihres Körpers als devoter Schlappschwanz entpuppt. Weil risikolose Bösartigkeit, der nicht entgegengetreten wird, keine Grenzen mehr kennt, beginnt sie ihren Mann zu quälen und sich an seinem Leid zu weiden. Was für ein Hype, den verliebten Herrn Professor am Nasenring durch die öffentliche Mange zu führen. Bis sie sich schließlich – weil auch die Lust am Leid eines anderen dem Gesetz des abnehmenden Grenznutzens unterliegt – langweilt, ihn betrügt und verlässt.
So ungefähr funktioniert die Beziehung zwischen Professor Moses Herzog und seiner Frau Madelaine, eine schmerzliche Geschichte menschlicher Niedertracht, die in dem schließlich betrogenen und verlassenen Moses Herzog einen Tsunami des Leids entfesselt, den er auf der Klaviatur seiner Bildung durchspielt. Dieses selbstbezügliche Leid, sprachlich brillant und inhaltlich blitzgescheit und unterhaltsam dargeboten, steht im Mittelpunkt des vorliegenden Buches. Auf drei unterschiedlichen Ebenen folgt der Leser den Trauerreflexionen des morbiden aber liebenswerten Professors: zunächst auf der auktorialen Ebene einer gegenwärtigen Erzählung, dann auf der Ebene zahlreicher Rückblicke und schließlich in Gestalt unzähliger Brieffragmente, in denen Herzog Freunde und Feinde, Lebende und Tote anschreibt. So gleichsam im Schnittpunkt dreier Prismen begegnet der Leser an der Seite des deprimierten Moses Herzog dem Romanpersonal, einer Gesellschaft vorwiegend krummer Vögel, die sich aus an Herzogs Leiden weiden, aber auch dem gutmütigen Bruder Will und der Blumenhändlerin Ramona, die ihr Herz an den leidenden Professor verloren hat.
Doch Herzogs Grundbefindlichkeit bleibt unvermindert dieselbe. Ich bin in die Dornen des Lebens gefallen. Ich blute.“ Er irrt ziellos durch die Umgebung, besucht Freundinnen, um gleich wieder abzuhauen, fährt nach Chicago, um seine Frau und ihren Liebhaber zu erschießen, was dann aber doch lässt, sieht seine kleine Tochter und entschließt sich am Ende in sein verlassenes Haus in die Berkshires zurück zu kehren. Dieses Haus, grandios in seiner Substanz, aber ungepflegt und verfallen, ist nicht weiter als eine Metapher für den Zustand der Hauptperson selbst, so dass das Buch insofern mit einem optimistischen Ausblick endet, als der erschöpfte Professor am Ende beginnt, es mühsam wieder herzurichten. Ob es allerdings gelingt, bleibt offen.
Soweit der kurze Abriss der Handlung, die allerdings im Kontext des Werkes eher zweitrangig ist. Denn das Buch lebt in erster Linie von seiner unglaublichen Sprachlichkeit, seiner seismografischen Durchdringung der abgelegensten Gefühlsregungen, seinem Flanieren durch die Jahrhunderte der Geistesgeschichte und seiner Ernsthaftigkeit in der Suche nach einem verlorenen gegangenen Sinn. Der gesamte Roman ist zudem durchzogen von einer Galerie brillanter Aphorismen, die im Geist des überraschten Lesers wie Blitze zünden und Dinge erhellen, die bislang im trüben Dunkel vager Ahnung lagen.
Heute wundert man sich, dass ein derart differenziertes reflexions- und gedankengesättigtes Werk wie Herzog“ sofort nach seinem Erscheinen in den USA ein derartiger Kassenschlagerwerden konnte. Wahrscheinlich traf es den Nerv unzähliger Intellektueller, die in ihrem eigenen Leben ebenfalls erfahren mussten, wie leicht die Gleichung von Liebe und Geist misslingen kann. Zugleich ist das Werk stilbildend geworden: Woody Allen, Philip Roth und viele andere, die uns heute als Originale erscheinen, besitzen hier ihren Ursprung. Seine sprachliche Meisterschaft, seine funkelnde literarische Essayistik aber sind bis heute unerreicht. Alles in allem ist das vorliegende Werk nicht mehr und nicht weniger als ein Höhepunkt eines Leselebens: ein Erlebnis für jeden, der in Büchern nicht zuletzt auch das Gespräch mit seinem eigenen Leben sucht.