„Am Liberalismus gehen die Völker zugrunde“, hat Arthur Moeller van den Bruck geschrieben. Ob das so stimmt, will ich nicht entscheiden, was ich aber weiß, ist, dass der Liberalismus in seiner gegenwärtigen Gestalt als verantwortungsloses laissez faire Staat und Gesellschaft in die Sackgasse geführt hat. Ausufernde Kriminalität, und Drogensucht, verlorene Kontrolle über die Grenzen und ein Verlust identitätsstiftender Werte sind die Signata einer aus den Fugen geratenen Zeit. Zu den deprimierenden Einsichten, die das vorliegende kleine Büchlein aus der „Anstoß“ Reihe vermittelt, gehört, dass dergleichen Probleme, wenngleich in allgemeinerer, anspruchsvollerer Form, schon seit über hundert Jahren thematisiert werden. Getan hat sich aber nichts, es ist eher noch schlimmer geworden. Grund genug, sich einmal mit den „konservativen Revolutionären“ zu beschäftigen, die schon in altvorderen Zeiten andere Richtungen wiesen. Der vorliegende Band portraitiert eine Reihe von Denkern, die niemand aus dem Mainstream mehr kennt oder rezipiert.
Gambatista Vico (1688-1744 Hauptwerk: „Neue Wissenschaft“) entwickelte ein Spengler vorwegnehmendes Kreislaufmodell der Kulturen. Er stellt sich die Gründung der Staaten als das Werk „sanfte Riesen“ vor, die über die Schwachen herrschen und ihnen Schutz gewähren. Dann geht die Entwicklung wie bei Plato nur noch abwärts. Auf das Notwendige folgt das „Nützliche“, das dann das „Bequeme“, „Gefällige“ und schließlich das „Luxuriöse“. Staat und Gesellschaft werden dekadent und wehrlos, eine Zeitlang vegetieren sie noch dahin, ehe sie eine von drei „Erlösungen“ ereilt: (1) eine augusteische Reform, d. h. eine Revitalsierung aus eigener Kraft (2) eine Eroberung von außen und (3) ein neues Mittelalter, in dem Staat und Gesellschaft völlig zusammenbrechen und Jahrhunderte „im dunkeln“ verbleiben, ehe sich eine neue Ordnung herausschält
Heinrich Leo (1799-1878) war ein konservativ-christlicher Denker, der durch sein zweifelhaftes Bonmot bekannt wurde, man brauche hin und wieder einen „lustigen Krieg“, der das Skrofulöse hinwegfege. Was diese Figur in dieser Reihe zu suchen hat, ist mir schleierhaft
Julius Langbehn: (1844-1900 – Hauptwerk „Rembrandt als Erzieher“. Sein Werk besteht in einer zeitgemäßen Äufwärmung von „Richard Wagner als Erzieher“, es ist antisemitisch angehaucht, weil der Jude für Langbehn als Symbol der neu heraufziehenden individualistisch-egoistischen Epoche fungiert.
Hans Blüher (1888-1955 Hauptwerken „Achse der Natur“) Blüher stellt sich die Gründung des Staates durch edle Männerbünde vor, und die „Emanzipation des Weibes“ ist für ihn so ziemlich das Allerletzte. Ontologisch folgt der Autor einer buddhistisch angehauchten Naturmetaphysik, die alles umgreift und aus deren Schönheit die Religion erwächst. Da der Autor schwul aber rechts war, wurde er vom Zeitgeist vergessen, ihn erwartet aber möglicherweise eine Renaissance.
Friedrich Gundolf (1880-1931) war der bedeutendste Germanist der Vorkriegszeit. Lange Zeit war er Mitglied des George Kreises, mit dem es aber zum Bruch kam, weil George Gundolfs Heirat nicht dulden wollte. Gundolf betreibt einen Kult der großen Männer, weil nur sie es sind, die die Geschichte bewegen. Die Weitergabe der Kultur vollzieht sich bei der gemeinsamer Lektüre erhabener Gedanken.
Edgar Julius Jung (1894-1934 Hauptwerk „Der Aufstand der Minderwertigen“ 1927) Jung war Freikorpssoldat und Mitglied der konservativen Revolution. An der von Papens plante er eine Übergangsdiktatur mit einem gestuften Wahlrechts. Verfasser der „Marburger Rede“ schreibt, die zu seiner Erschießung durch die Nazis führt
Werner Sombart (1863-1941 Hauptwerk Entstehung des Kapitalismus u.a. aus dem Geist des Judentums) Für Sombart sind Kapitalismus und Sozialismus nur Varianten des „Ökonomismus“, der zur Stillstellung der Massen durch „Komfortismus“ führt. Vorwegnahme der Kritik am Neoliberalismus
Friedrich Hielscher (1902-1990) – Die Welt ist die Bühne eines pantheistischen Gottes, der sich in einem fiktiven „Reich“ offenbart. Die Deutsche sind die prädisponierten Träger dieses „Reiches“, das die liberalistische Epoche ablösen wird. Hielscher gründete eine unabhängigen Freikirche, die wegen ihres selbst auferlegten Missionsverbot bald eingeht (Merke: keine Verbindung zur Reichsbürgerbewegung, obwohl starke Ähnlichkeiten sichtbar sind )
Ernst Niekisch (1889-1967 Hauptwerk: „Das dritte Imperial“) Als „ Nationalbolschewist“ propagiert Niekisch einen nationalen Sozialismus ohne Antisemitismus. Als Wanderer zwischen den Welten wurde er von rechts und links enttäuscht. Er saß unter den Nazis im Zuchthaus und hat die DDR unter Protest verlassen.
Vaclav Havel (1936-2011 Hauptwerke: „Politik und Gewissen“) Havel fordert das „In der Wahrheit leben“ , denn das Leben im Verborgenen denaturiert die Betroffenen und stärkt die Unterdücker Als der Osten zusammenbrach, erkannte der Westen nicht, dass hier nur sein eigens verzerrtes Spiegelbild zusammenbrach. Der Westen unterliegt nun fortschreitend einem „sanften Totalitarismus“ der Bevormundung durch anonyme Amtsträger. Alle Ideologien, die ihre Ironie verlieren, werden tendenziell totalitär.
Wollte man nach einem gemeinsamen Nenner dieser Beiträge suchen, ergäbe sich folgendes: (1) Völliges Unbehagen am extremen Liberalismus und der Massendemokratie, (2) Wendung gegen die Subjektivierung aller lebensweltlichen Bezüge, (3) Kampf gegen die Auflösung althergebrachter Institutionen, dazu (4) Betonung der „maskulinen“ Geschichtsmächtigkeit und eine Kritik an der Emanzipation des „Weibes“. (5) Teilweise Vorwegnahme der Kritik am Neoliberalismus, der Elemente linken und liberalen Gedankengutes umgreift. (6) Suche nach Orientierungspunkten im Kampf gegen die Bevormundung anonymer Akteure in einem „sanften Totalitarismus“.
Alles in allem müsste ich lügen wenn ich sage, dass mir durch die Ansätze dieser Denker die Augen aufgingen. Vieles von dem, was sie ausführen, ist schon lange Teil des konservativen Gedankengutes, nimmt aber, zu Ende ausformuliert, mitunter kuriose Züge (Theorie der Männerbünde, Theorie des heraufdämmmernden „Reiches“) Auf einige dieser Denker wie Leo hätte ich gut und gerne verzichten können, andere (Havel) wären mir in einer breiteren Darstellung lieber gewesen. Aber wahrscheinlich dient das vorliegende Buch genau diesem Zweck: der Erinnerung an eine Ahnengalerie, der dann die selektive Vertiefung folgen kann.