Brad Easton Ellis: Unter Null

  Der Erweckungsruf der Beat Generation, den Jack Kerouac in „On the Road“ in den 1950er  Jahren formulierte, der Schrei nach sexueller und moralische Freiheit (verbunden mit der Bewusstseinserweiterung durch Drogen) ist in „Unter Null“ von Brad Easton Ellis zum Todesröcheln geworden. Außer Kokain, Sex und Konsum bewegt nicht mehr die reiche Jugendlichen aus Los Angeles, die in der Portraitierung von Ellis lebenden Zombies gleichen, die zwischen Haltlosigkeit und Selbstzerstörung schwanken.

Als Rahmenhandlung des Buches fungiert ein Besuch des Ostküsten-Collegestudenten  Clay, der über Weihnachten/Silvester seine Familie in Los Angeles besucht und dabei seine Freunde aus seiner Schulzeit wiedertrifft. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie Sprösslinge steinreicher geschiedener Eltern sind, die sich um ihre Kinder (außer unbegrenztem finanziellem Support) nicht kümmern. Im Unterschied zu Karouacs Protagonisten oder Kracauers Alexander Supertramp verfügen diese austauschbaren Figuren über keinen über sie hinausweisenden Antrieb. Ihr Leben besteht aus Rumhängen, Musikhören und Zeit totschlagen, was  mit Rauschgift am besten gelingt. Am Beispiel zweier Bekannter, Rip und Julian, skizziert Ellis  die Entartungen dieser Existenzen. Rip hält in seinem Haus eine zwölfjährige Gefangene, die aus purer Lust, gequält und vergewaltigt wird („American Psycho“ lässt grüßen). Zugleich gerät Julian durch seinen hemmungslosen Drogenkonsum in Abhängigkeiten und muss sich als männliche Prostituierte verdingen. All das sieht der Leser durch die Augen des Ich-Erzählers Clay, der zwar von diesen Geschehnissen angewidert wird, ohne dass er die Kraft findet, für sich selbst einen anderen Weg zu finden. Seine Beziehung zu seiner Freundin Blair zerbricht, an seiner Unfähigkeit zu lieben – ganz einfach, weil Liebe als  Gefühl, nicht selbstbezüglich bleiben, sondern über sich hinausweisen müsste.

„Unter Null“ ist die schockierende Bestandsaufnahme einer extremen Wohlstandsverwahrlosung, die im Prozess der Selbstzerstörung zu Destruktion und Grausamkeit führt. Das Buch ist in einer reinen Protokollsprache abgefasst, bei der eine Nichtigkeit der anderen folgt, so dass sich für den Leser der Effekt einer absoluten Belanglosigkeit ergibt. Das Individuum, das seine Werte abstreift wie einen alten Pullover, ist nackt geblieben und geht am Vakuum seines eigenen Solipsismus zugrunde.

In den „Scream“-Filmen der 1990er und Nuller Jahre wurden übrigens die Figuren von Clay und Rip als psychologische Profile für die Protagonisten verwendet, allerdings in rein voyeuristischer Absicht und ohne die implizite moralische Distanzierung, die dem Text von Ellis zugrunde liegt. Das wurde in der Kritik u.a. als beleg für die Richtigkeit der Diagnose des Romans gewertet. Anstatt der Wohlstandsverwahrlosung entgegenzuwirken, wird sie als cineastisches Geschäftsmodell vermarktet und popularisiert.

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