Vor Jahren las ich Hans Magnus Enzensbergers Europabuch „Sanftes Monster Brüssel“. Wie wahr dachte ich – aber zugleich auch wie langweilig und humorlos . Warum das nur keinem auffiel? Wahrscheinlich weil die Enzensberger-Fans ebenso langweilig und humorlos sind? Das einmal offengelassen, möchte ich heute ein anderes Europabuch empfehlen, dass es nach Sachkenntnis locker mit dem o.a. Buch aufnehmen, es an Witz und Esprit aber um Welten schlägt. Henry Broders Essay „Die letzten Tage Europas“.
Man kann dieses Buch nicht vorstellen, ohne nicht vorher einige Worte über den Autor zu sagen. Bei Hendryk Broder handelt es sich um einen Journalisten weitab von allem Mainstream, der wirklich Alles und Jedes thematisiert und kritisiert, ohne dass er der Vernichtungsmaschinerien der öffentlichen Tugendwächter anheimfällt. Berufsmäßige Denunzianten wie Giesa, Diez und Hensel beißen bei Broder auf Granit. Wie ist das möglich? Erstens natürlich, weil Broder Jude ist, und weil Kritik an Juden innerhalb unserer politischen Glaubenswelt, selbst wenn sie Paolo Pinkel heißen, sakrosankt ist. Das ist die dialektische Voraussetzung des Hendryk Broder-Paradoxons. Ein Systemproblem bringt aus sich heraus Spielräume der Kritik hervor. Aber für eine vollständige Erklärung reicht das natürlich nicht aus. Hinzu kommt, dass Henryk Broder als Journalist zwei Eigenschaften vereinigt, die ihn in die beste Tradition des Judentums und des Journalismus zugleich stellen: einen treffsicheren Humor und eine erstaunliche Sachkenntnis, die sich hinter seinen Späßen verbirgt. Beides verbunden mit einer souveränen Missachtung der politischen Korrektheit garantiert Leseerlebnisse, nach denen der notleidende Zeitgenosse in den Zeiten von Staatsfunk und Regierungspresse mehr als nach allem anderem lechzt. Dafür ein Bespiel aus Broders Buch „Die letzten Tage von Europa“. Dort wird über eine sehr aufwändige und kostenintensive Studie aus den USA berichtet, die untersuchen soll, warum drei von vier Lesbierinnen zu fett sind. Da kann sich Hendryk Broder nur wundern, denn der gesunde Menschenverstand, die sogenannte „Broder-Ressource“ gibt ihm ganz ohne Forschungsmillionen die Antwort: Dass drei von vier Lesben zu fett sind, „kommt nicht daher, dass Lesben von Natur aus zur Fettleibigkeit neigen, sondern daher, dass fettleibige Frauen sich für eine lesbische Lebensweise entscheiden, weil die meisten Männer normalgewichtige Frauen attraktiver finden als solche, die 100 Kilo und mehr auf die Waage bringen.” Um Gotteswillen, denkt man unwillkürlich. Habe ich das jetzt wirklich gelesen? Ja, aber nicht irgendwo, sondern eben bei Henryk Broder, der soeben einen Sachverhalt scheinbar vom Kopf wieder auf die Füße gestellt hat. Aber hat er das auch wirklich ernst gemeint? Das nie ganz zu enthüllen, gehört ebenfalls zum Repertoire der Broderischen Argumentation. Immer bleibt ein überschießender Rest von Unschärfe erkennbar, ein gewissermaßen eingebautes Herabdimmen der These mit den Mitteln des augenzwinkernden Humors und der Übertreibung. Das ist mehr als 99 % aller Journalisten leisten und wie einer Verheißung dafür , dass was die öffentliche Vernunft betrifft, es zwar schon reichlich dunkel geworden ist, aber noch immer die eine der andere Glühbirne brennt.
Womit wir beim Stichwort wären. So wie jedermann beim „Oval Office“ an Clintons „Oral Office“ denkt, fällt einem beim Stichwort „Glühbirne“ sofort Europa ein – seine Regulierungswut, sein Bürokratismus und seine selbstherrliche Nomenklatura, die es sich im Brüsseler Selbstbedienungsladen gut gehen lässt. Halt, das ist jetzt wieder zu hart, das würde Broder so niemals sagen. er sagt es lieber durch die Blume, garniert mit zahlreichen Anekdoten und Witzen, am Ende aber immer messerscharf. Die Europäische Union, so Broder ist ein wunderbares Projekt, das von seinen Eliten grandios gegen die Wand gefahren wurde. Wann begann der Abstieg fragt er an einer Stelle: Bei der Umwandlung der EWG in die EG und die EU? Bei den Verträgen von Nizza oder Lissabon? Oder mit der Einführung des Euro? Broder weiß es nicht, er weiß nur, dass es immer schlimmer wird und dass die Europäische Union mittlerweile einem schauspielernden Alien gleicht, das in drei Rollen auftritt: „ Als Umverteilungsmaschine, die bei der vermeintlichen Angleichung der Lebensbedingungen in Europa das Tempo vorgibt; als Wohlfahrtsausschuss, der den Bürgern sagt, was sie tun und was sie lassen sollen, und als ein metaphysisches Konstrukt.” Für die jede dieser drei Rollen bietet Broder in dem vorliegenden Buch ein geradezu enzyklopädisches Anschauungsmaterial, ohne die dahinter stehende beinharten Wahrheiten auszusparen als da sind: Europa ist ein Propagandaapparat, der Millionen für Eigenwerbung ausgibt, seine Lobsänger zeihen durch die Schulen und verteilen „Zertifizierungen“, nach den die Schulen ihrerseits gieren, weil damit Geld verbunden ist. Ganze Wirtschaftszweige leben davon, Firmen beim Abgreifen wohlfeiler Zuschüsse zu beraten, das dabei entstehende Korruptionspotenzial ist schier unerschöpflich. Das einzige, was ärmere Länder wie Bosnien oder Montenegro, die in die EU streben lässt, sind die Zuschüsse, von der Türkei ganz zu schweigen. Und über allem kreist wie ein Rauschiff ohne Bodenkontakt eine grotesk aufgeblähte unfassbar gut dotierte Bürokratie, in die aufgenommen zu werden, der Lebenstraum unzähliger Genderspezialisten, Multikulti-Experten und Sozialdienstleister ist. Von der Europäischen Kommission und den Regierungen wird eine Art „Ponzi-Spiel“ betrieben, nach dem das Gesamtsystem nur durch die Anwerbung immer neuer Mitspieler am Leben erhalten werden kann. Dumm nur, dass reiche Länder wie Norwegen und die Schweiz nicht hineinwollen, aber Albanien und der Kosovo es kaum erwarten können, an die Fleischtöpfe des europäischen “Sugar Daddys“ zu gelangen. Alles aber wird gekrönt durch die „United Church of Europa“, die völlig sinnfreie Überhöhung eines Ponzi- und Elitenbereicherungssystems durch quasireligiöse Verlautbarungen, die dem Bürger tagaus tagein aus den europafrommen Nachrichten entgegenschallen. Immer die gleiche Mischung aus Redundanz und Flachsinn nach sogenannten „Gipfelkonferenzen“, immer die gleichen Gruppenfotos der gleichen Schulzens, Junckers und Barrosos, ohne dass sich die Verhältnisse zum Besseren verändern. Die Bewahrung des europäischen Friedens durch das permanent gezückte nordeuropäische, vorwiegend deutsche Scheckbuch – das ist die wahre Basis der europäischen Einheit. In dem Augenblick, in dem Deutschland nicht mehr zahlt, ist die EU tot. Das einzige, was noch wächst, sind die Staatschulden, ungeachtet der empörenden Mandatsüberschreitung der EZB, die qua Nullzinspolitik die Alterssicherung einer ganzen Generation entwertet.
Was tun? Broder ist so ehrlich zugeben, dass er es nicht weiß. Was er aber weiß, ist dass es dringend eines Moratoriums bedarf, um die Fehlentwicklungen wenigstens aufzuhalten. Ein frommer Wunsch aus dem Jahre 2012, über den die Zeit längst hinweggegangen ist. Denn seit 2012 sind weitere Dämme gebrochen Der Euro ist praktisch tot und wird nur durch die Gelddruckmaschine der EZB am Leben erhalten. Mit Ausnahme Deutschlands und einiger Nordländer liegen die Arbeitslosenraten im Süden zwischen 20 und 40 Prozent, Frankreich, Italien und Griechenland werden nur durch die Einführung der Transferunion überleben können. Aber auch nur so lange, bis Deutschland einbricht. Dann ist das Ponzi Game endgültig zu Ende. Der Wagen rollt ungebremst den Berg herunter, und die einzigen, die noch rechtzeigt aus dem Wagen gesprungen sind, sind die Briten. Doch wie waren immer schon ein wenig realistischer als der Rest Europas. Einige dieser Aspekte werden übrigens in Broders Nachschrift zum vorliegenden Buch „Rettet Europa“ behandelt.