Büscher: Deutschland. Eine Reise

Als ich die ersten achtzig Seiten des Buches gelesen hatte, dachte ich spontan „Er reitet auf Worten durch das Land“ – und das gleich in einem doppelten Sinne. So poetisch habe ich  Deutschland  noch nie beschrieben erlebt, so liebevoll verstanden, so analytisch hinterfragt und so anschaulich  abgespiegelt. Diese Darstellung vollzieht sich aus einer distanzierten, aber nicht teilnahmslosen Warte, d. h. der Autor hält sich selbst als Wertender zurück, um sich  als Erlebender, spontan Reflektierender oder einfach Fühlender umso stärker einzubringen.  Dazu ein Beispiel aus dem Kapitel über die Stimmung der Stadt Leer am Niederrhein: „Diese Stille hatte ich einmal gekannt, diese nachmittägliche Verlorenheit. Sonntage auf dem Land, die so heiter erwachen, mit Glockengeläut, und sich so träge verlieren. Das Rad der Jahreszeiten. Ferien, blassblaue Himmel, die sich gegen Unendlich dehnen. Der stumme Treck der Winterwochen. Ewig, ewig ist die Stille der Provinz. Sorgfältig aufgeräumt und gefegt wie das Zimmer einer alten Frau. Die Luft steht, Staub wirbelt im schräg stehenden Licht, niemand spricht, halb gesenkte Augenlider, das offene Buch im Schoß, das wollene Lesezeichen. Stundenschlag, Sekunden ticken, als ginge das immer so weiter und hörte niemals auf, und die Wahrheit ist, es hört niemals auf.”   Manchmal belauscht er auch Gespräche und bekämpft das schlechte Gewissen, das ihn dabei überkommt „Aber schon bald lauschte ich weiter. Ein Unrechtsbewusstsein befiel mich nicht. Ich war doch nur ein wandernder Geist, der in fremde Stuben und Seelen schaut.”

Wolfgang Büschers Reise entlang der deutschen Grenzen beginnt am Niederrhein. Es folgt eine Inselreise nach Helgoland, zur magischen Insel, die die Briten vergeblich versucht haben, im Meer zu versenken. In Bremen besucht er einen Maler, der ihm von den Hippies von Sylt erzählt und dabei seine ganz persönliche Theorie der Freiheit entwickelt. Es folgt der Timmendorfer Strand, wo er „die Reichen und die Schönen“ sucht und nur die Absonderlichen findet. Das Verblüffende an ihnen „war der Eifer, mit dem sie sich selbst beschriftet hatten. Viele waren mit Initialen und Labels übersät wie bezahlte Rennfahrer, und viele waren zu braun im Gesicht – auch eine Schrift. Fast alle trugen die unvermeidlichen bunten Baseballkappen mit irgendwelchen Zeichen darauf, Männer wie Frauen, und grelle Signalfarben, ein krasses Gelb oder Rot.“ In Wismar beeindruckt ihn das klare, kalte Licht, in Stralsund die Weite der Bucht, Am meisten aber verwundern ihn immer wieder seine Landsleute im Angesicht ihrer eigenen Heimat. „Manchmal kamen mir die Deutschen vor wie aus der Zeit gefallen und vorsichtig wieder hineingeführt“ notiert Büscher. „Wie ein Treck aus dem Nichts, etwas verwildert vor diesen etwas verwilderten Zeugnissen stehend: Das alles sollen einmal wir gewesen sein?”

Und so geht es weiter die Grenzen Deutschlands entlang nach Süden bs Bayern und dann wieder zurück. Ein wunderbares poetisches Reisebuch, das mir vorkam wie ein guter Wein, der langsam getrunken, respektive langsam gelesen sein will.

 

 

 

 

 

 

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