Bei diesem Buch handelt es sich um eine Mischung aus Roman und Dokumentation über das Leben des italienischen Nobelpreisträgers, Luigi Pirandello (1867-1936). Mit dem Titel „Der vertauschte Sohn“ will der Autor die familiäre Voraussetzungslosigkeit andeuten, aus der sich das Leben des berühmten Theaterautors entfaltete. Obwohl ich von Pirandello noch niemals etwas gelesen habe und die Textproben in den vorliegenden Buch mich nicht wirklich neugierig machten, war das vorliegende Buch als Quelle für den Zeitkolorit des bürgerlichen Zeitalters im Italien aufschlussreich und unterhaltsam.
Der kleine Luigi wuchs als Sohn des Schwefelminenbesitzers Don Stefano Piranin der Gegend von Agrigent an der sizilianischen Südküste auf. In Palermo erlebte er als Knabe seine erste Liebe, deren Ende ihn monatelang aufs Bettlager warf. Immerhin verhalf ihm dieser Schmerz zu seinen ersten literarischen Versuchen, die recht vielversprechend verliefen, denn er wurde schon im Alter von 17 Jahren zum ersten Mal veröffentlicht. Es folgte die Liebe zur schönen Lina, der die Eltern nur zustimmen wollten, wenn der junge Luigi ein geplantes Studium in den Wind schoss, um in den Schwefelhandel einzusteigen. Tatsächlich beugte sich der verliebte Luigi dieser Bedingung, hielt die harte Arbeit aber nicht lange durch und verschwand mit Vaters Hilfe zum Studium der Literatur nach Rom. Dort vergaß er seine Verlobung, führte ein wüstes Leben und flog von der Universität. Wieder mit Vaters Hilfe wechselte an die Universität von Bonn, wo er studierte und promovierte. Auch hier hatte er eine Geliebte, der er einen Hund schenkte, ehe er in Rom sein bohemehaftes Leben wieder aufnahm. Schließlich heiratete er Antonietta Portolano, deren fette Mitgift ihm erlaubte, seinen Unterhalt als Schriftsteller ohne die Hilfe des Vaters zu bestreiten. Allerdings stand die Ehe von Luigi und Antonietta von Anfang an unter einem schlechten Stern, weil Antonietta die gesellschaftlichen Ansprüchen von Pirandello und seinem intellektuellen römischen Freundeskreis nicht erfüllen konnte. Trotzdem bekam das Paar innerhalb weniger Jahre um 1900 drei Kinder, zwei Söhne und eine Tochter. Leider machte sich bald eine Geisteskrankheit bei Antonietta bemerkbar, die das Leben Pirandellos in den nächsten anderthalb Jahrzehnten extrem belasten sollte. Antonietta entwickelte eine exzessive Eifersucht, machte fürchterliche Szenen in der Öffentlichkeit, bei denen sie ihren Mann beschimpfte. Sie verdächtigt ihre Tochter des Inzests mit dem Vater und brüllte nachts das ganze Dorf zusammen. Obwohl die Ärzte Pirandello nahelegten, seine Frau in eine Anstalt einzuweisen, wartete er damit bis nach dem Ende des ersten Weltkriegs. 1919 wurde Antonietta Pirandello in einer Irrenanstalt eingeliefert, in der sie noch 40 Jahre leben sollte, ehe sie 1959 verstarb.
In dieser Zeit wird Pirandello endlich zu einem landesweit bekannten Schriftsteller, der seine größten Erfolge als Theaterautor feiert. Warum, wird auf der Grundlage des vorliegenden Buches allerdings nicht ganz klar. Soweit ich die Darstellung richtig verstanden habe, geht auf Pirandello eine Revolution der Aufführungspraxis zurück, in der erstmals versucht wurde, das Publikums in die Theatervorstellung mit einzubeziehen. Wer also heute ins Theater geht und vom Hauptdarsteller von seinem Sitz vertrieben wird, genießt, ohne es zu wissen, eine der Innovationen des Pirandello-Theaters. Das lockt zwar heute niemanden mehr hinter dem Ofen hervor, aber es ist ganz gut zu wissen, wer als einer der ersten diese Idee gehabt hatte.