Churchill: Der zweite Weltkrieg

 Ein wirkliches Meisterwerk erkennt man an den Details. In der Meisterküche findet man jedes Gewürz, im Meisteratelier sitzt jeder Pinselstrich. Ebenso verhält es sich mit Büchern. In einem Meisterwerk gibt es keine Sätze wie Schrotkugeln, die irgendwo das touchieren, was möglicherweise gemeint sein könnte, sondern sie besitzen eine rätselhafte Inkontingenz: jedes Wort passt

Ein solches Werk ist Winston Churchills monumentale Monografie „Der zweite Weltkrieg“. Tausend Seiten von jemandem, der nicht nur an maßgeblicher Stelle als Handlungsträger beteiligt war, sondern dem es gegeben war, diese Beteiligung als Schriftsteller in ein großes allgemeines Bild zu überführen. Etwas hoch gegriffen könnte man sagen: das Werk eins Perikles und eines Thukydides in einem.

Welches Buch man vor sich hat, erkennt man an den letzten 23 Seiten des ersten Kapitels, in dem von den „Torheiten der Sieger“ (des ersten Weltkrieges A.A) die Rede ist. Die Mischung von Anschaulichkeit, Niveau und Überzeugungskraft fasziniert, nur sparsam aber treffend, verwendet der  Autor Metaphern, etwa wenn er Wien, die ehemalige Hauptstadt der k. u. k. Monarchie, als ein  Warenhaus bezeichnet, dem alle Kunden weggezogen sind: Sehr treffend auch der Vergleich von Bolschewiken Kommunisten und Nationalsozialisten, die sich gleichen wie der Nord- und der Südpol.

Inhaltlich ist das Werk von einem satten Realismus durchzogen, der durch Weisheit und geschichtliche Bildung gemäßigt ist. Die Vorgeschichte des zweiten Weltkriegs, die im ersten Kapitel entfaltet wird, gehört zum Besten was ich bisher drüber gelesen habe.

Mehrfaches ist dabei für den deutschen Laser besonders interessant: zunächst der Blick aus französischer und britischer Perspektive auf das Geschehen in Zentraleuropa, sodann die besondere Betrachtungsweise, die sich aus den weltweiten Interessen des britischen Empires ergab. Schwer aus der Mode gekommen ist ein weiterer Vorzug des Buches: das Bemühen, dem Leser die Motivation der Protagonisten klarzumachen, auch wenn der Autor anderer Meinung ist.  Und schließlich erscheint Deutschland nicht als Produkt eines verhängnisvollen Sonderweges, der mit Armin dem Cherusker, Luther oder Bismarck begann,  sondern als eine Nation, die sich aufgrund besonderer Verhältnisse, zu denen auch die „Torheit in der Sieger“ gehörte, im 20. Jahrhundert in besonderer Weise verfehlte.

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