Seien wir ehrlich: Es gibt kaum etwas Langweiligeres als eine Festschrift. Meistens handelt es sich dabei um akademische Pflichtübungen, bei denen unter der Hand manch Unausgegorenes auf literarischen Müllhalden entsorgt wird. Aber es gibt Ausnahmen. Die vorliegende “Festschrift aus Anlass des sechzigsten Geburtstages von Karlheinz Weißmann“ ist eine solche Ausnahme. Es handelt sich um eine „Fest“schrift im besten Sinne des Wortes, in der Freunde, Gleichgesinnte und Schüler einen konservativen Denker von hohen Graden mit einer Reihe exzellenter Beiträge ehren.
Aber, wer zum Teufel, ist Karlheinz Weißmann? mag manch einer fragen. Diese Frage stellen, kennzeichnet bereits die Sonderstellung Weißmanns im intellektuellen Milieu der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit. Karlheinz Weißmann ist eine Ausnahmeerscheinung unter deutschen Historikern, der schon ab den Neunziger Jahren wegen seiner nicht mainstreamkompatiblen Perspektiven systematisch von dem ihm gebührenden Platz im bundesrepublikanischen Diskurs ferngehalten wurde. Frank Schirrmacher und die von ihm mitverantwortete Verkrüppelung der deutschen Debattenkultur lassen grüßen. Das hat Weißmann aber nicht daran gehindert, ein breites Oeuvre vorzulegen, mit dem er innerhalb der konservativen Szene zu einer intellektuellen Leitfigur wurde.
Die „Festschrift für Karlheinz Weißmann zum sechzigsten Geburtstag“ ist aber nicht nur die gebührende Würdigung für einen extrem produktiven Denker sondern in ihrer Gesamtheit ein ganz ausgezeichneter Einstieg in das facettenreiche Theoriegerüst des intellektuellen Konservativismus. Ihren gemeinsamer Nenner könnte man als die „Weißmann´sche Frage“ bezeichnen, nämlich die Frage nach der Rekonstruktion einer nationalen Identität vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und der von der Linken ins Werk gesetzten Gesamtdestruktion aller überkommenden Werte.
Überschaut man die Gesamtheit der vier eher biografischen und fünfundzwanzig eher thematischen Beiträge wird eine Gesamtstruktur deutlich, die vornehmlich um drei Themenfelder kreist: (1) die Wiedergewinnung der deutschen Geschichte inklusive einer Vergewisserung der eigenen Traditionslinien, (2) die Analyse des „Gegners“ und (3) die Suche nach Möglichkeiten des Widerstands und neuer, ausbaufähigen Ordnungen.
Was den ersten Punkt betrifft, so enthält das vorliegende Buch zahlreiche Beiträge, in denen die politisch korrekt zurechtfrisierte Geschichte „entrümpelt“ wird. Beispielgebend dafür ist der instruktive Beitrag des israelischen Militärhistorikers Martin van Creveld, dem es gelingt, auf wenigen Seiten einen anderen, nichtneurotischen Blickwinkel auf die deutsche Geschichte zu skizzieren. Die extreme Konzentration der offiziellen Geschichtsschreibung auf die verhängnisvollen „12 Jahre“ kommt ihm dabei vor wie das Verhalten von Verrückten, die ihre ganze Aufmerksamkeit darauf ausrichten, sich im Straßenverkehr vor braunen Autos in Acht zu nehmen und keine Sekunde daran denken, dass sie auch von roten oder blauen Autos überfahren werden können. Ein anderes Beispiel für diesen dringend notwendigen Geschichtsrevisionismus bietet etwa Hans Fenskes Darstellung des Ersten Weltkrieges oder die anrührende Geschichte von der „Odyssee der Reichskleinodien“.
In vielen dieser und ähnlicher Beiträge wird immer wieder der Antagonist erkennbar, der übermächtige Gegner, der alle Bereiche von Staat, Gesellschaft und Politik dominiert. Dieser Antagonist sind nicht die Grünen oder die Sozialdemokraten, nicht die Kommunisten oder eine bis zur Selbstkarikatur verkommene Christdemokratie – diese und andere Akteure sind nur Erscheinungsformen einer epochalen geschichtlichen Tendenz zur Selbstvergottung des Menschen. Ulrich Schacht datiert den Beginn dieser Verfallsgeschichte mit dem hybriden Projekt der europäischen Aufklärung, in dem der Mensch seine religiösen Bindungen abstreifte und sich zu einem Weltenschöpfer aufschwang, der in Verfolgung seiner Welterlösungslehren Unfreiheit und Terror generierte. Für Andreas Kineging sind in diesem Kontext Liberalismus und Kommunismus beide gleichermaßen faule Früchte von diesem Baum der Verführung, vor allem, wenn es sich um en heruntergekommenen Liberalismus bundedeutscher Provenienz handelt. Der gleiche Materialismus, das gleiche Abstreifen der Transzendenz und der gleiche Konsumismus.
Vor diesem Hintergrund mutet es fast paradox an, wie vollständig sich die sogenannten „Volkskirchen“ auf die Seite des Zeitgeistes geschlagen haben. „Die EKD“, so schreibt Helmut Matthies „hat im 19. Jahrhundert weitgehend die Arbeiter vernachlässigt und sich am Bürgertum wie Adel orientiert. In der auf den Ersten Weltkrieg folgenden Weimarer Republik wurde die Monarchie bevorzugt und die Demokratie beargwöhnt. In der Zeit des Nationalsozialismus standen fast alle Landeskirchen mehr oder weniger auf Seiten Hitlers.“ Diese Tradition der Obrigkeitshörigkeit wird in Merkeldeutschland auf das Unheilvollste fortgesetzt, wobei die originäre seelsorgerischen Aufgabe mit einer theologisch uninspirierten Priesterschaft zur Nebensache gerät.
Ein Gedanke, der in den Beiträgen der Festschrift immer wieder durchscheint, ist die religiöse Verpuppung, die der politische Mainstream inzwischen angenommen hat. In einem brillanten Beitrag dekuvriert Andras Lombard diese Verpuppung als saure Melange aus Holocaustzerknirschung und Welterlösungshysterie. Diese in der deutschen Verworfenheit begründete „Holocaust Religion“ hat die christliche Ethik und damit die Hoffnung auf die Gnade Gottes zugunsten einer impliziten Rachereligion verworfen. „Sie hat Demut durch Anmaßung ersetzt und Ohnmacht durch Selbstermächtigung.“ Obwohl sie doch selbst Deutsche sind, werfen sich die Protagonisten dieser Richtung zu Richtern auf, indem sie ihr eigenes Volk als „latent faschistisch“ denunzieren und einer gnadenlosen moralischen Kujonierung unterwerfen. Auch die durchaus angestrebte Selbstaufgabe Deutschlands zugunsten einer grenzenlosen Einwanderung aus der Dritten Welt muss vor dem Hintergrund dieser „Rachereligion“ gesehen werden.
Was aber ist zu tun? Diese Frage ist überall präsent, wird aber explizit nur vereinzelt aufgegriffen. Zu sehr sind die Autoren von der Offenheit der Geschichte überzeugt, auch ein wenig durch eine gewisse religiöse Demut gehemmt, als dass man von ihnen Großprogrammatiken erwarten könnte. Ein Hinweis findet sich jedoch im Werk von Karlheinz Weißmann. Folgt man dem politischem Credo des Jubilars, wie es von Dominique Riwal in einer ausgezeichneten Werkeinführung dargelegt wird, dann darf der Widerstand nicht nur theoretisch bleiben. Er muss als ein langfristiger gesellschaftlicher Prozess begriffen werden, in dessen Verlauf neue Milieus und Vorfeldorganisationen geschaffen werden müssen, ohne die es keine Breitenwirkung geben kann.
Immerhin befindet sich eine solche Milieubildung spätestens seit den Umbrüchen des Jahres 2015 in vollem Gange. Der vorliegenden Festschrift und der Gesamtheit der Beiträge kommt das Verdienst zu, nicht nur Karlheinz Weißmann als einen seiner maßgeblichen Stichwortgeber zu würdigen, sondern die ganze Breite dieses Milieus darzustellen. Millionen Bürger, die sich nach einem langen Prozess der politischen Entfremdung vom etablierten Parteienlager abgewandt haben, könnten hier eine neue politische Heimat finden und zugleich die Geltung des geschundenen Grundgesetzes revitalisieren.