Falange: Italien. ein Länderportrait

Gianluca Falange, Jahrgang 1977, erzählt die Geschichte seines Landes mit viel Einfühlung und Sympathie aus der Perspektive eines fortschrittlichen Linksliberalen. Soweit ich das beurteilen kann, sind seine Urteile ausgewogen und um Unparteilichkeit bemüht.  Es ist ein Länder-Portrait Italiens, dessen erste Erkenntnis darin besteht, dass es ein Italien überhaupt nicht gibt, sondern dass so viele Italiens existieren wie es Provinzen gibt. Die hochgehaltene Erinnerung an das Risorgimento des 19. Jhdt. übertüncht diesen Regionalismus mitunter gerade durch gelegentlichen Übersteigerung. Für das Verhältnis Italiens zu Deutschland gilt noch immer das vielzitierte Bonmot, wonach die Deutschen die Italiener lieben, aber nicht schätzen und die Italiener die Deutschen schätzen, aber nicht lieben.

Falange beginnt sein Buch mit der Thematisierung des Italienbildes, das oft Züge einer Vision besitzt und die durchaus herbe Gegenwart des Landes außer Acht lässt. Zur Gegenwart des Landes gehört zum Beispiel die Angst vor der Nordverschiebung der „Palmengrenze“, womit er nicht nur den Klimawandel gemeint sei sondern die Angst der Italiener davor, dass die chaotischen Zustände des Südens auf den Norden übergreifen. Da es sich um eine aktuelle Länderkunde handelt, verzichtet der Autor auf einen Abriss der italienischen Geschichte und beschränkt sich im Wesentlichen auf die moderne Historie seit Risorgimento und Faschismus. Besonders lesenswert ist das Kapitel über die italienische Nachkriegsgeschichte, in dem es auch für den Italienfreund manch Neues zu erfahren gibt.  Ich hatte zum Beispiel nicht gewusst, dass die Linke ihre Waffenlager nach dem Zweiten Weltkrieg keineswegs aufgelöst hatte, sondern  die Kommunistische Partei Italiens bis in die Sechziger Jahre über Waffenlager verfügte, aus deren Depots sie auf einen Schlag 100.000 Proletarier bewaffnen konnte. Da die NATO das wusste, entstand auf der Gegenseite eine ebenso große Geheimarmee, die die Machtübernahmen der Kommunisten im Zuge einer eventuellen sowjetischen Invasion Europas verhindern sollte. Öffentlich waren die fünfziger und sechziger Jahre durch die Herrschaft der Democracia Christiana bestimmt, einer durch und durch korrupt-klerikalen Partei, die sich im Süden der Mafia bediente. Dementsprechend fand die  Achtundsechziger Bewegung in Italien  einen erheblich stärkeren Wiederhall  als in anderen Ländern, weil sich dieser Bewegung der studentischen Jugend auch  radikale Kommunisten, Gewerkschaften und Arbeiter anschlossen. Aus dieser Bewegung entstanden die Roten Brigaden, die seit 1976  eine Blutspur vonn Mord und Tod durch Italien zogen. Nur mit Mühe gelang es dem alten System, die roten Brigaden zu zerschlagen, wozu auch Überläufer und Amnestien beitrugen.

Das alte Parteiensystem  geriet nach dem Fall der Berliner Mauer ab 1992  in eine existenzielle Krise.  Dass die Parteien korrupt waren, hatten die Italiener immer schon gewusst, dass die Korruption aber nicht nur eine Begleiterscheinung, sondern das Hauptschmiermittel der Politik war, war eine neue Einsicht, die die unabhängige Justiz zutageförderte. Ausgehend von zunächst kleinen Bestechungsskandalen wurde von der Staatsanwaltschaft eine Ungeheuerlichkeit nach der nächsten aufgedeckt, bis die etablierten Parteien, vor allem die DC und die Sozialisten derart diskreditiert waren, dass sie zusammenbrachen.  Der ehemalige sozialistische  Ministerpräsident  Craxi musste nach Tunesien ins Exil flüchten, Giulio Andreotti wurde der Korruption und der Konspiration mit der Mafia überführt. In dieses politische Vakuum, das nach Meinung des Autos durch radikal demokratischer Zivilorganisation hätte „gefüllt“ werden können, stieß dann leider der „Cavaliere“ vor, Silvio  Berlusconi, der auf der Grundlage seiner Medienmacht ab 1992 die nächsten zwanzig Jahre der italienischen Politik prägen sollte.  Was der Autor Berlusconi eigentlich vorwirft, bleibt vage – am ehesten kreidet er ihm an, dass er die Italiener in  verhängnisvoller Weise entpolitisiert habe. Berlusconis Antagonisten, die Linksliberalen und Sozialdemokraten, versuchten durch Bündnisse mit den Postkommunisten gegenzusteuern. Falanges Darstellung der italienischen Nachkriegsgeschichte endet 2015, als  der Sozialdemokrat Mattheo  Renzi die politische Bühne betritt, um den „Augiasstall“ Italiens auszumisten.  Drei Jahre später, nach der Migrationskrise, spricht kein Mensch mehr von Renzi. Italien hat  unter Führung der Fünf Sterne Bewegung und der Lega Nord eine radikale politische Wende vollzogen und damit begonnen, das Land im Sinn einer populistischen Revolution umzugestalten.

Ein eigenes Kapitel ist der Geschichte der Mafia gewidmet. Obwohl die Mafia viel ältere Ursprünge aufweist, entstand die Mafia in der Spätphase des Königreiches Piemont-Sizilien, als sich die Adeligen auf die Schlägertrupps ihrer Pächter verließen, um die Forderungen von Bauern und Landarbeitern zu unterdrücken.  Dieses Modell der Ausnutzung einer kriminellen Organisation im Zuge der Sicherung der eigenen Macht durch die Eliten sollte zur festen Konstante der italienischen Politik werden. Fest war diese Struktur, weil in ihr die oberen Schichten der Gesellschaft und die Kriminellen in den Hinterhöfen zu einer Art zweitem Parallelstaat verbunden wurden.  Nur einmal wurde die Mafia ernsthaft erschüttert, als Mussolini den „eisernen Präfekten“ Caesare Mori  nach Sizilien schickte, wo er ungeachtet aller legalen Beschränkungen gründlich aufräumte. Wenn jemals ein Beweis erbracht wurde, wie stark der Rechtsstaat gerade die Kriminellen schützt, dann hier. Wahrscheinlich hätte sich die Mafia  von diesem Schlag nicht mehr erholt, hätten die Amerikaner sich nicht bei Invasion Sizilien im Jahre 1943 der Hilfe amerikanischer  Mafia-Größen bedient. So setzte das alte Spiel nach dem Ende des Krieges wieder ein. Die Mafia etablierte sich neu, und war der DC  gerne zu Diensten, um Kommunisten und Sozialisten in Süditalien brutal zu bekämpfen. Die Mafia Organisationen garantierten der DC fast 50 Prozent der sizilianischen Stimmen. Dafür ermöglichten die DC der Mafia eine hemmungslose Bereicherung im Zuge der Grundstücksvergabe und Bauspekulation.  Die DC blickte auch weg, als die Mafia in das weltweite Drogengeschäft einstieg.   Frankreich hatte härtere Anti-Drogen-Gesetze erlassen, so dass türkische Zwischenhändler mit der sizilianischen Mafia die größte Heroinraffinade Europas in Sizilien aufbauten, von wo aus der Export in die USA organsiert wurde. Ein Wendepunkt in der Geschichte der Mafia wurde die schließlich die „Mattanzaa“ ein brutaler Mafiakrieg in den späten Achtziger Jahren, bei dem die Corneolesi-Familie  ihre Konkurrenten derart dezimierte, dass die  unterlegenen Mafia Bosse die „Omerta“ brachen und vor Mafiajägern wie Falcone und Borselino auspackten. Erstmals gelang die Inhaftierung von Mafiabossen, die allerdings aus dem Gefängnis brutal zurückschlugen und führende Mafiajäger wie ermordeten.

Inzwischen hat sich die Mafia zurückgezogen und neu organisiert. Dass es heute scheinbar ruhig um die Mafia geworden ist, wertet der Autor als ganz schlechtes Zeichen, denn es zeige nur, dass die Geschäfte zwischen Politik und Mafia wieder geräuschlos funktionieren.

Absolut lesenswert sind auch die gesellschaftsrelevanten Kapitel des Buches – über die italienische Frau, die Sonderrolle des Papstes, das Fernsehen, den Film, die Kunst und die Literatur.  Auf einen  Unterschied weist der Autor immer wieder hin: „In Deutschland muss ein Ding, um `gut gemacht´ zu sein, funktionieren, seine Aufgabe erfüllen, also sich durch den Beweis seiner Nützlichkeit das Existenzrecht verdienen. In Italien verhält es sich anders. Im italienischen Weltbild darf ein Ding auch nicht funktionieren, es muss aber auf alle Fälle schön sein”

Was es aus dem vorliegenden Buch in besonderer Weise zu lernen gibt, ist die Bedeutung einer wirklich unabhängigen Justiz. Anders als in Deutschland, wo die Staatsanwälte dem Justizminister unterstehen,  ist die Justiz als unabhängige Instanz die wahre Bastion der italienischen Gewaltenteilung.  Ohne die Unabhängigkeit der italienischen Justiz wäre der Kampf gegen die Mafia wie auch die Aufdeckung der Parteienkorruption in den  Neunziger Jahre nicht möglich gewesen.  Deutschland steht in dieser Hinsicht viel schlechter da, weil bei uns  der Staat, die Parteien und die Medien zu einem Kartell verbunden sind, das immer ungenierter Gesetze bricht, ohne dass eine politische kontrollierte Justiz einschreitet. So wurde keine einzige der tausend Anzeigen gegen Angela Merkel wegen Amtsmissbrauch von den deutschen Staatsanwälten aufgegriffen, jede Anzeige gegen vermeintlich rechte Parteien wird aber sofort verfolgt und von der Presse breit orchestriert.  Nicht nur in dieser Hinsicht gilt: Italien du hast es besser.

 

 

Kommentar verfassen