Flaig: Weltgeschichte der Sklaverei

Weltgeschichte, so der Autor, bedeutet nicht enzyklopädisches Anhäufen von Fakten, sondern die Beschreibung der Bewegungsrichtung, die das Gesamtgeschehen nimmt.  In dieser Perspektive bedeutet „Weltgeschichte der Sklaverei“ den Aufweis der großen Entwicklungslinien von der Unfreiheit zur Freiheit. Insofern unterzieht sich das vorliegende Buch der anspruchsvollen Aufgabe, dem Verständnis der Weltgeschichte eine neue und wesentliche Nuance hinzuzufügen: eben das einer schrittweisen Emanzipation von den Erscheinungsformen einer allumfassenden Entwürdgung zur Freiheit.  Dass dabei aus nahezu allen Kulturkreisen und Epochen herangezogen Material, die kaum überschaubaren Einzelheiten und Kuriosa, die der Autor in seiner „Weltgeschichte der Sklaverrei“ entfaltet, machen das Buch zu einer ungemein spannenden Lektüre, können im Rahmen einer Rezension aber auch nicht im Ansatz wiedergegeben werden.  Interessanter als die unzähligen Details sind für diese Vorstellung die Kategorien, mit denen der Autor das Material durchgliedert. Für mich waren vor allem folgende Aspekte neu:

  1. Intrusive und extrusive Sklaverei.  Intrusive Sklaverei bedeutet,  dass die Sklaven von außen eingeführt werden („come in“).  Extrusive Sklaverei meint,  dass die Sklaverei aus der eigenen Gesellschaft heraus rekrutiert wird („ex – heraus“). Extrusive Sklaverei ist nur möglich in Gestalt brutaler sozialer Unterdrückung und Verängstigung der Unterschichten. Ihre Grundlagen waren Repression, Terror oder Verurteilungen wegen  mangelhafter Steuerleistungen bzw. Sie existierte in der Antike, in Altrussland, im Islam und Korea. Ihre Escheinungsformen wurden aber mit der Zeit durch Rechtsvorschriften abgemildert.
  2. Sklavenfreilassung versus lebenslange Sklaverei. In reinen Sklavenhaltergesellschaften mussten Sklavenpopulationen immer wieder intrusisch oder extrusisch erneuert werden. In vergleichsweise weniger harten Systemen wie etwa den Südstaaten der USA, in denen den Sklaven die Familienbildung erlaubt war, rekrutiert sich die Sklaverei aus sich selbst heraus von Generation zu Generation. Mit der Selbstrekrutierung der Sklaverei geht die Entwicklung eigener kultureller Ausdrucksformen (Candomble, Voodoo), aber auch eine größerer Widerständigkeit einher.
  3. Sklavenaufstände waren deswegen so wenig erfolgreich, weil Sklaven nach allen Erfahrungen untereinander prinzipiell nicht solidarisch sind. Die beiden größten Sklavenaufstände der Weltgeschichte, der Zanj Aufstand des 7. Jhdts. im Irak und der Sklavenaufstand von Haiti um 1800 zeigen, dass Sklaven, die rebellieren, kein Problem damit haben, sofort anderen Menschen zu versklaven,
  4. Metropole-Peripherie – Die Geschichte der Sklaverei zeigt, dass die Rekrutierungsprozesse der Sklaverei entlang der Linie Metropole-Peripherie verlaufen. Die Metropole (sei es Baylon, Athen, Rom, Bagdad oder Delhi) benötigt Sklaven  und erwirbt sie durch Kriege, Tribute oder Handel. Ein nach Flaig stark
    Sklavenverschiffungsstation auf der Insel Gore ´(Senegal)

    vernachlässigter Effekt sind die damit einhergehenden tiefgreifenden Veränderungen der Peripherie. Um der Selbstversklavung zu entgehen, beginnen Völker in der Peripherie, ihre Nachbarvölker ihrerseits zu versklaven und an die Metropolen zu liefern. Es entwickeln sich „Fangstaaten“ die durch regelmäßige „Razzien“, Sklaven beschaffen und weiterverkaufen. Ein typischer Fangstaat war etwa der Staat der Krimtataren, der zwischen 1400 bis 1750 über 1,75 Millionen Slawen aus Osteuropa in das Innere Asiens veschleppte. Das gesamte Gebiet südlich der Sahara verwandelte sich um das Jahr 1000 in ein Sysem von Sklavenstaaten, die den islamischen Norden belieferten.  Ein Prozess der Barbarisierung  kommt in Gang, der so lange anhält, bis die  Versklavungsregionen „leer“ sind bzw. bis die Bevölkerung geflohen ist (So etwa bei den Proto-Russen, die vor den Razzien der Steppenvölker nach Norden flohen, wo „hinter den Wäldern“ das frühe Russland entstand). Verhängnisvoll ist, dass die Sklavenlieferstaaten eine räuberische Mentalität entwickeln. Da die  Sklavenarbeit wegen der leichten Verfügbarkeit  nicht substituiert werden muss, bleiben sie technologisch  und zivilisatorisch unterentwickelt.

  5. Die Umwandlung Afrikas in ein gigantisches Fanggebiet für Sklaven setzte drei Transferrouten voraus: die westafrikanische Route, die Transsahara Route und die Ostafrikanische Route. Alle drei Routen führten in die Metropolen der islamischen Welt. Praktikabel war dieser millionenfache Sklaventransfer nur durch die Ausbildung regelrechter Sklavenstaaten mit umfangreichen Fang-Apparaten, die aus dem Norden Luxusgüter erhielten und dafür Edelmetalle und Sklaven lieferten. Als die Portugiesen im 15. und 16. Jhdt. mit der Sklavenverschiffung nach Brasilien begannen und ganz besonders, als der karibische Sklaventransfer begann, trafen die europäischen Aufkäufer auf ein schon seit Jahrhunderten etabliertes afrikanisch-moslemisches Sklavenfang- und Sklavenliefersystem
  6. Die soziale Mobilität von Sklaven ist in ihrer Vielfältogkeit kaum zu übeschauen. Eine bedrückend hohe Quaote kam elend in den Bergwerken oder auf den Plantagen um (wie etwa in den Silberminen des Laurion in Attika oder auf den Zuckerrohrsklaven von Jamaika), andere übernahmen anspruchsvolelre Tätigkeiten wie die des Kinderführers (des „Päda-gogen“ in Athen), einige stiegen selbst zu Herrschern ganzer Lädner auf ( wie etwa die Mamlucken in  Ägypten), wobei sich zeigt, dass der Aufstieg von Sklaven zu Gewaltherrschern die faktische Versklavung ganzer Gesellschaften zur Folge hat.
  7. Alle Gesellschaften der Welt kennen die Sklaverei, auch Europa, wobei
    „Denkmal des rebellischen Sklaven“ (Barabdos)

    Westeuropa allerdings eine Sonderstellung einnimmt. Westeuropa entwickelte sich nach vielfachen Verboten durch die Kirche zu einem Raum ohne intrusische und extrusische Sklaverei (Leibeigenschaft wird von der Sklaverei unterschieden). Das gilt allerdings nicht für den Süden Europas. Der  islamische Herrschaftsbereich in Spanien kannte sehr  ausgeprägte Sklaverei, die auch nach der Reconquista nicht abgeschafft wurde. Die italienischen Städte  handelten von je her mit Sklaven vom   Schwarzen Meer. Italienische Reisende mit Sklavenbegleitung bekamen deswegen manchmal Probleme mit nordeuropäischer Gesetzgebung, wenn sie etwa auf Reisen nach Brügge oder Köln Sklaven mitführten.  Als die Niederlande, Frankreich und Großbritannien umfangreiche Sklavenkolonien erwarben, kam es zu einer gespaltenen Rechtssetzung: Im Mutterland war die Sklaverei nicht erlaubt, wohl aber in den Kolonien.

  8. Die Aufhebung der Sklaverei war vor allem ein europäisches Projekt. Sie geht zurück auf die christlich motivierte Antisklavenbewegung, ihre Unterstützung durch die Flotten des Britischen Weltreiches und – das wird manchen Kritiker
    Denkmal des Sklavenbefreiers David Livingstone an den Victoriafällen

    überraschen – auf die Gesetzgebung imperialistischer Kolonialmächte, die um 1900 in ihren Herrschaftsbereich die Sklaverei rigoros verboten. Da dadurch die Interessen moslemischer Sklavenhalter namentlich in Afrika beeinträchtigt wurden, kam es zu vielfältigen Protesten, die sich als Freiheitsbewegungen tarnten. Um das humanitäre Licht der Kolonalmächte nicht zu hoch zu hängen, muss allerdings bedacht werden, dass die Abschaffung der Sklaverei mit der massenweisen Arbeitsverpflichtung der einheimischen Bevölkerung einherging. So haben die Deutschen in Tansania zwar die Sklaverei abgeschafft, das ganze Land aber durch eine neuartige „Hüttensteuer“ in eine Dienstpflicht gezwungen. So war es übrigens auch, als Kaiser Karl V 1542 im spanischen Weltreich die Sklaverei verbot. Sie wurde z. B. in den Silberbergwerken von Potosi einfach kollektive Zangsarbeit („Mita“) ersetzt.

  9. Alles in allem unterliegt die Geschichte der Sklaverei nach Ansicht des Autors heute einem politisch korrekten, aber sachlich völlig unzutreffendem Narrativ. Nach diesem Narrativ haben sich vor allem die europäischen Mächte der Neuzeit an den Völkern der Dritten Welt  durch den Sklavenhandel versündigt. Dass sie ohne Schuld sind, behautet auch der Autor
    Afrika-Monument (Dakar/Senegal)

    nicht, aber eine genaue Betrachtung ergibt, dass  die muslimische Sklaverei   weit langandauernder und  umfangreicher war als die westliche (17 zu 12 Millionen). Ganz im Unterschied zum Mainstream betrachtet der Autor die Abschaffung der Sklaverei als eine Ruhmestat der europäischen Geschichte, die allerdings  heute vollkommen in Vergessenheit geraten ist. Stattdessen dominiert eine öffentliche  Heuchelei, wenn etwa schwarzafrikanische Staaten vom Westen Reparationen wegen des Sklavenhandels fordern, obwohl sie selbst Sklavenjägerstaaten gewesen sind. Es gibt unzählige Denkmäler des atlantischen Sklavenhandels aber kein einziges für den größeren islamischen Sklavenhandel.

Das sind nur einige Aspekte aus dem vorliegenden ungemein lesenswerten und informativen Buch.  Dass es vom politisch korrektiven Feuilleton in Bausch und Bogen zerrissen wurde, mindert seinen Wert in keiner Weise,  sondern ist eher ein Indikator dafür, dass der Autor auf heikles Terrain vorgestoßen.

 

 

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