Während ich auf Franzens neuestes Buch „Crossroads“ wartete, las ich noch einmal in „Schweres Beben“. Vor Jahren hatte ich die Lektüre etwa bei Seite 150 abgebrochen, auch nun war es nicht einfach, in den Roman hinein zu kommen. Franzens Stil versperrt sich der schnellen Lektüre, dafür sind seine Sätze zu ausgefeilt und gehaltvoll. Das fein verschlungene Gewebe der Wirklichkeitsbeschreibung, aus der sich Stück für Stück Charakter und Handlung zusammensetzen, verlangt Lesedisziplin und ein moderates Lesetempo. Guten Wein sollte man auch nicht in einem Rutsch herunterkippen.
Im Mittelpunkt der Handlung von „Schweres Beben“ stehen Louis Holland und seine Familie. Am Beginn Handlung stirbt die reiche Großmutter, was im Hinblick auf das Erbe mächtig Stress in der Familie erzeugt. Louis verliebt sich in René Seitcheck, eine engagierte Seismologin der Havard Universität, die über einige kleinere Beben forscht, die neuerdings die Umgebung von Boston in Unruhe versetzen. Louis verliert seinen Job bei einem Radiosender, der von radikalen Abtreibungsgegnern gekauft wird und alle Nichtchristen feuert. René Seitcheck und Louis Holland kommen den Machenschaften eines Industriekonzerns auf die Spur, dessen Bohrungen seismische Störungen und schlie0lich Erdbeben verursachen. „Schweres Beben“ ist also eine Metapher im doppelten Sinne: sie beschreibt privat Erschütterungen, von denen es im Buch nur so wimmelt, und reale Erbeben als Chiffre für einen unverantwortlichen Umgang mit der Umwelt.
„Schweres Beben“ war Franzens zweiter Roman. Nachdem sein Erstling „Die 27. Stadt“ nicht den Anklang gefunden hatte, den sich der Autor gewünscht hätte, festigte sein „Schweres Beben“ seinen Ruf als sprachmächtiger Erzähler und Meister der Charakterzeichnung. Außerdem strotzt das Buch nur so von überraschenden sprachlichen Wendungen, die mitunter so treffend sind, dass man sie in ein Metaphernbuch übertragen möchte. „Was denkt ein Schlittenhund“, fragt sich Franzen, „was geht hinter seinen gelben Augen vor, wenn er sieht, wie ein Polarforscher einen seiner Kumpane zur Seite nimmt, um ihm die Kehle aufzuschlitzen?“ Beim Anblick einer tafelnden Altmännerrunde assoziiert er: „Männer mit den Mastochsengesichtern und den entzündet wirkenden Bullennüstern gewohnheitsmäßiger Steakesser.“
Alles in allem ein lesenswerter Roman, bei dem sich der Genuss aus dem Erfindungsreichtum der Sprache speist. Den genialen Gleichklang von Sprache und Handlung gelang Franzen erst mit den „Korrekturen“, seinem dritten Roman, der fünf Jahre nach „Schweres Beben“ erschien.