Das Buch stand schon seit Jahren ungelesen in meinem Bücherschrank. Amerikanischer Bürgerkrieg. Heimkehr eines verwundeten Soldaten? Es gab so viel, was mich mehr interessierte. Dann verfolgte ich in der zweiten Staffel von „The Affair“ ein Gespräch zwischen einem Autor und einem Verleger, wobei die Rede auf dieses Buch kam. „Zehn Jahre hat Frazer an Cold Mountain gearbeitet“, sagte der Verleger zu einem störrischen Autor, „und da haben sie es so eilig?“ Zehn Jahre? Hm, dachte ich. So ein Buch sollte man vielleicht doch lesen. Außerdem stand eine Amerikareise an, so dass ich schließlich zu dem Buch griff, um ein wenig in ihm zu blättern. Nebenbei bemerkt: Es ist immer ein Zufall, der die Begegnung mit einem Buch herbeiführt, und man weiß nicht, wie es weitergeht. Unliterarisch gesagt, ist es fast so, als fahre man mit der Hand über die Oberfläche von Sofabezügen und stocke dort, wo es sich angenehm anfühlt um einmal Probe zu sitzen. Jedenfalls begann ich zu lesen und war sofort gefangen.
Der Roman beginnt mit der Vorstellung von Inman, einem jungen Soldaten aus North Carolina, der schwer verletzt im letzten Jahr des amerikanischen Bürgerkrieges in einem Lazarett liegt und über seine Situation und sein bisheriges Leben räsoniert. Schreckliche Szene aus den Schlachten des Bürgerkrieges quälen ihn, Erinnerungen an seine Heimat am Fuße des Cold Mountains, an seine Jugend mit dem Cherokee Swimmer, neben ihm stirbt sang- und klanglos sein Bettnachbar. Eines Tages, als ein wenig Geld eintrifft, kauft sich Inman neue Stiefel und Kleidung, packt nachts seine Sachen und steigt aus dem Fenster des Krankenhauses. Er desertiert und wandert heim.
Im zweiten Kapitel lernt der Leser Ada kennen, eine junge, feingeistige Frau mit Kenntnissen in Latein und Griechisch, die häkeln und Klavierspielen kann, aber über keinerlei Kenntnisse verfügt, wie man eine Farm führt, was mehr als misslich ist, da soeben ihr Vater, der Gemeindepfarrer Monroe, gestoben ist. Nun weigert sie sich als ledige Jungfer in ihre Heimatstadt Charleston zurückzukehren, sitzt auf der großen Farm in Black Cove, die der Vater gekauft hatte, als er sich am Cold Mountain niederließ, liest, hungert und leidet. Die Rettung naht, als die elternlose Ruby, von mitleidigen Nachbarn hergeschickt, sich als Arbeitskraft anbietet und die beiden Frauen eine Partnerschaft zur Wiederherstellung des Farbetriebes eingehen.
In der Zwischenzeit wandert Inmam durch landschaftlich abstoßende, abgeholzte Ebenen, durch Wälder und über reißende gelbschlammige Flüsse, immer auf der Hut vor wilden Hunden und den Milizionären, die Fahnenflüchtigen wie ihm nachjagen. Gegen drei Kriminelle, die ihn ausrauben wollen, kann er sich mit Mühe zur Wehr setzen, doch sie setzen ihm nach und nehmen ihn bei einer Flussüberquerung unter Feuer. Erst als Rückblende während Imans Flucht erfährt der Leser, dass es vor dem Krieg zu ersten Kontakten zwischen den scheuen Pfarrerstochter Ada und Inman gekommen war. Ada kommt inzwischen mit Hilfe Rubys wieder auf die Beine. Ruby, die als Kind eines Trinkers von früh hatte lernen müssen, für sich selbst zu aufzukommen, sorgt dafür, dass es mit der Farm wieder aufwärtsgeht. Das Klavier wird verkauft und gegen nützliche Gebrauchsgegenstände, Vieh und Nahrung eingetauscht, Hühner und Schweine werden angeschafft, Gemüsebeete angelegt, Unkraut wird gejätet.
Inman wandert inzwischen durch Gegenden, in denen die Menschen voller Verängstigung die marodierenden Nordtruppen erwarten. Er wird Zeuge persönlicher Dramen, etwa der des heruntergekommenen Geistlichen, der eine frau töten will, die er geschwängert hat und der ihn hinfort begleitet. Er trinkt mit einem verstoßenen Farmersohn, der im ganzen Süden nach seiner verkauften schwarzen Geliebten sucht.
In diesem Wechsel von Inmans Wanderung und Adas stationärer Existenz am Fuß des Cold Mountains entwickelt sich die Geschichte weiter. Der Leser erfährt von der Liebe Munroes, des Vaters von Ada, zu Adas Mutter, die bei Adas Geburt verstarb und wird Zeuge, wie Inman von Junior, einem heruntergekommenen Siedler, an die Milizionäre verraten wird. Ohne Verpflegung wird er mit anderen Unglücklichen von den Milizionären tagelang durch die Wildnis geschleift, bis es ihnen zuviel wird und sie ihre Gefangenen einfach erschießen und weiterziehen. Inman überlebt durch einen glücklichen Zufall, wird durch einen Sklaven gerettet und kehrt, wieder zu Kräften zurück, um den Siedler umzubringen, der ihn verraten hatte. Je weiter der Roman voranschreitet, desto mehr Raum nimmt die Beziehung von Inman zu Ada ein. In einem weiteren Kapitel, das einen Ausflug Adas und Rubys in die Stadt beschreibt, wird in einer weiteren Rückblende der Abschied Inmans von Ada am Beginn des Bürgerkrieges ausgeleuchtet, ein zunächst misslingender Abschied, bei dem sich Ada viel zu kratzbürstig verhält, den sie in einem zweiten Anlauf, bei einem Besuch in seiner Wohnung korrigieren will, was aber auch nur unvollkommen gelingt. So trennen sich die beiden mit einem halb ausgesprochenen Versprechen, auf einander zu warten, wobei beiden wahrscheinlich nur eine Spanne von ein paar Monaten und nicht ein paar Jahren im Kopf stand. Inman, durch Hunger, Anstrengung und seine Verwunderungen am Ende seiner Kraft, denkt an Ada mit anwachsender Sehnsucht wie an eine Verheißung von Frieden und Heimat. Als er in den Bergen eine gütige alte Frau trifft, die seit 26 Jahren in der Wildnis lebt, die ihn verpflegt und mit Heilkräutern seine Wunden pflegt, berichtet er ihr von seiner Liebe, seiner Sehnsucht und der Schönheit Adas, woraufhin sie trocken erwidert: „Eine Frau ihrer Schönheit wegen zu heiraten ist genauso sinnlos wie einen Vogel zu essen, nur weil er schön singt.“ (385) Nachdem Inman die Kräuterfrau verlassen hatte, trifft er auf eine abgemagerte junge Frau, deren Mann in den Krieg gezogen und gefallen war und die nun mit ihren Baby auf einer herunter gekommenen Farm saß und nicht wusste wie es weitergehen sollte. Inman übernachtet im Haus der jungen Frau, die beiden liegen in ihrer Einsamkeit Körper an Körper im Bett, ohne sich zu berühren. Als am nächsten Morgen marodierende Unionssoldaten erscheinen, flieht Inmans zunächst in den Wald, folgt aber dann den Soldaten, die die kleine Farm der jungen frau ausgeraubt hatten, und bringt sie um. Je mehr er sich dergestalt den Appalachen nähert, desto stärker wirft der Krieg seinen Schatten über die Ebenen. Er trifft eine weinende Frau am Wegesrand, der er hilft, ihr totes Kind zu begraben, dann passiert er drei Skelette, die wie Vogelscheuchen an einem Baum hängen. Er hat sich eines Schwarzbärenangriffes zu erwehren und schläft in der Nacht in ausgehöhlten Baustümpfen oder Erdhöhlen. Er kommt höher und höher und nähert sich schließlich seiner Heimat. Er riecht es an der klaren Luft, er sieht es an der Farbe der Landschaft und den Konturen der Berge. „Während das Fleisch briet, setzte er sich auf einen Steilhang und beobachtete, wie der Morgen anbrach, sich die Nebelbänke auflösten und bis zum fernen Erdhang Berge und Flüsse sichtbar wurden, Schatten glitten die Abhänge der nächst gelegenen Bergketten hinunter, rutschten ins Tal, als tauchten sie in einen riesigen unterirdischen See aus Dunkelheit hinein. Wolkenfetzen hingen über den Tälern unter Inmans Füßen, doch irgendwo war ein Hausdach, eine Rauchfahne oder ein gerodetes Stück Land zu sehen, das auf menschliche Besiedlung hingewiesen hätte.“ (488)
Am Fuße des Cold Mountains haben sich die Dinge inzwischen zugespitzt. Eine Gruppe Deserteure hat sich zu einer Bande formiert, die nacheinander die umliegenden Farmen plündern. Zu ihnen gehört auch Stobrod, Rubys heruntergekommener Vater, der mit einem halbschwachsinnigen Banjospieler plötzlich in Black Cove wieder auftaucht. Als Stobrod und sein banjospielender Freund sich von den Plünderern absetzen wollen, werden sie von den Marodeuren bis in die Berge hinein verfolgt und erschossen. Aber Stobrod überlebt schwer verletzt und wird von Ada und Ruby gefunden. Da er zu schwer verletzt ist, um transportiert zu werden, suchen sie Schutz vor dem zunehmenden Schneetreiben in einem alten Hüttendorf, das die Cherokees verlassen hatten, als sie 1838 von den Weißen deportiert worden waren. Eben dort, in einem alten verlassenen Indianerdorf im Nirgendwo, kommt es kurz vor Seite 600 des Romans zum Wiedertreffen von Ada und Inman, auf die der Leser schon lange wartet. Inman hatte inzwischen vollkommen am Ende seiner Kräfte Black Cove erreicht und erfahren, dass Ada und Ruby in den Bergen unterwegs waren und war ihnen nachgewandert. Nach einer Phase des Nichtwiedererkennens und der Fremdheit bricht die Liebe in beiden wieder auf, stärker sogar als sie gewesen war, als sie sich getrennt hatten. Sie berühren sich, sie schlafen zusammen und planen eine gemeinsame Zukunft, was sich nach der recht brutalen Handlung des bisherigen Romans fast ein wenig zu idyllisch anhört um wahr zu sein. Es sollte auch nicht wahr bleiben, denn Inman wird auf dem Rückweg nach Black Cove vollkommen sinnlos von einem jugendlichen Marodeur erschossen. Merkwürdig, dass dem Leser dieses Ende einleuchtet und dass ihm ein happy end als kitschig erscheinen wäre. Hat das Leben derart von der Literatur Besitz ergriffen, dass man sich kein anderes Ende eines Romans mehr vorstellen kann, als eines mit Tragik und der Verlust? Immerhin erhält der Leser ein versöhnliches Happy-end-Surrogat in einer Art Epilog am Ende des Buches. Zehn Jahre später hat Ruby einen herumstreunenden Jungen zum Knecht ausgebildet und dann mit ihm eine Reihe knackiger rothaariger Kinder gezeugt. Ada hatte Inmans Tochter zur Welt gebracht, der alte Stobrod hatte überlebt und war zu einem fiedelnden Großvater geworden. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Das Buch ist in einer zurückgenommenen, poetischen Sprache verfasst, die wirkt, als würde ein weiser Erzähler einem die Geschichte ins Ohr raunen. Es besitzt eine Doppelstruktur, in dem immer einem Kapitel über Ada in Black Cove ein anderes über Inman auf der Wanderung folgt, wobei genau getimte Rückblenden die Verklammerung von Adas und Inmans Schicksal darstellen. Der Roman ist durchsetzt von poetische Naturbeschreibungen, die die Stimmung des ganzen Buches so stark prägen, als wären Landschaft, Wetter, Berge Flüsse und Tiere die wahren Hauptdarsteller des Buches. Inhaltlich handelt es sich um eine episch breite und ambitionierte Darstellung der Epoche des amerikanischen Bürgerkrieges und seiner entsetzlichen Gräuel, es erzählt aber auch von der Kraft Einzelner, sich dem Verhängnis und einem scheinbar ausweglosen Schicksal entgegenzustemmen.
Nachtrag. Nach seinem Welterfolg „Unterwegs nach Cold Mountain“ erhielt Charles Frazier für sein zweites Buch „Dreizehn Monde“ acht Millionen Dollar Vorschuss. Und dann wurde es ein grandioser Flop. Zigtausende Hardcover-Ausgaben liegen nun in den Regalen und werden auf den Gebrauchtbuchportalen für Cent – Beträge verramscht. So kann es gehen in der Literatur, so ungerecht geht es zu, denn das Buch ist nicht schlechter als das „Unterwegs zu Cold Mountain“, nur irgendwie wollte es keiner lesen.